Fukushima Daiichi besuchen

Reactor site and ghost towns
Mit TEPCO auf dem Reaktorgelände des Kernkraftwerks Daiichi.

2018

July

Rating
75
Fotografie
65
Entdeckergeist
100
Gesundheitsgefahr
55
Natur
Location

Einmal Daiichi Kernkraftwerk und zurück

Die Präfektur Fukushima, die dortigen “Ghost Towns” und das Kernkraftwerk Daiichi hatte ich schon lange auf meinem Zettel. Allerdings gestaltete sich ein Besuch bisher immer schwierig. Selbst Journalisten hatten nur eingeschränkten Zutritt zum Gelände des Kernkraftwerks und mussten lange auf Genehmigungen warten. Mehr als 7 Jahre nach der Katastrophe hat sich allerdings durch einen Zufall eine einmalige Chance für mich ergeben. Eine lokale Organisation bietet Touren in die sogenannte “Red Zone” und umliegende Dörfer an. Ich habe mich für diesen Weg entschieden, da ich der japanischen Sprache nicht mal ansatzweise mächtig bin. Wer einigermaßen fit in der Sprache ist, kann auch versuchen mit einem Einheimischen illegal in die Zone zu kommen. Abgesehen davon gibt es mittlerweile mehr und mehr Menschen, die auch einen legalen Besuch der Zone organisieren. Da ich bisher nur darüber gelesen und keine Berichte aus erster Hand habe, kann ich dazu leider wenig sagen. Das besondere für mich war – und das wird man bei einem illegalen Besuch sicher nicht machen können – ich durfte nach einem Briefing im TEPCO Headquarter das Reaktorgelände betreten und bekam eine ausführliche Tour, inkl. Erklärungen zu den momentanen Gegebenheiten vor Ort. Das ist normalerweise nicht Teil des Programms. Wie es der Zufall wollte, gab es aber zum Zeitpunkt meines Besuchs, eine Tour für japanische Lehrer, die das Gelände besuchen sollten und ich durfte mich ihnen anschließen.

Unterwegs

Mit einem leicht grippalen Infekt, den ich mir wohl ein paar Tage vorher in Nordkorea eingefangen habe, 40° Außentemperatur und 15° im klimatisierten Wagen sei Dank, landete ich gegen 14:30 Ortszeit in Tokio. Dank meiner wohlsortierten und prall gefüllten Reiseapotheke konnte ich einen akuten Ausbruch der Seuche zum Glück verhindern. Schon am Vorabend in Wladiwostok habe ich mich mit meiner Selbstbehandlung ins Nirvana geschossen und war froh, dass ich rechtzeitig wach wurde, um pünktlich am Flughafen zu sein. Wie auf Schaumgummisohlen bahnte ich mir den Weg durch den Flughafen und beim Check-In angekommen wurde mir bewusst, das ich mein Gepäck gar nicht aufgegeben habe. S7 Airlines sah das aber nicht so eng und erlaubte mir das als zweites Stück Handgepäck im Flieger zu verstauen.

 

Nachdem wir knapp eine Stunde in der Luft waren, sah ich mich kurz im Flieger um und mir kam der Gedanke: “Also wenn dieses Flugzeug jetzt abstürzen würde, wäre das vollkommen ok. Der Schaden wäre absolut nicht systemrelevant – mich eingeschlossen.” Nachdem ich realisiert habe, das jetzt wohl meine weitere Medikamentendosis anschlägt, habe ich mir ein Wasser bringen lassen und die restlichen 1,5 Stunden in einem Dämmerzustand verbracht.

 

In Tokio angekommen gings wie gewohnt “schaumgummimäßig” Richtung Check-In für meinen Flug nach Sendai. Ich hatte noch knapp zwei Stunden Zeit, bis mein Flug ging und das Wetter war super. Also nix wie raus aus dem Flughafengebäude und die tägliche Dosis gegen meinen Infekt mit einem lokalen Kaltgetränk runterspülen. Um mich den örtlichen Gegebenheiten anzupassen und nicht zuletzt, um niemanden anzustecken, habe ich mir gleich einen Mundschutz zugelegt. Bei mir sah das zugegebener Maßen etwas merkwürdig aus, aber an sich ist das schon sehr volkstümlich.

Tokio Molle

Mahlzeit!

Vor Ort

Der Flug von Tokio nach Sendai dauert nur eine Stunde, allerdings gab es aufgrund einer Typhoonwarnung eine kleine Verzögerung, was aber nicht weiter schlimm war. In Sendai angekommen habe ich mir ein Taxi geschnappt und bin zur Tatekoshi Station gefahren, um von dort aus mit der Joban Line nach Haranomachi zu fahren.

 

Ich muss dazusagen, dass diese ganze “Wie komme ich am besten von A nach B Sache” im Vorfeld von meinem Kontakt vor Ort an mich kommuniziert wurde. Das hat mir wahnsinnig geholfen, da sämtliche Zugfahrpläne an den Stationen und die Kartenautomaten ausschließlich in japanischer Sprache verfasst sind. Die Fahrt dauert ca. 1,5 Stunden. Dort angekommen holte mich mein Kontakt mit dem Auto ab und wir fuhren etwa 10km weiter Richtung Süden, wo ich dann in ein kleines, gemütliches Haus in Odaka einquartiert wurde – weniger als 20km vom Reaktorgelände entfernt.

 

Da ich gesundheitlich noch immer ziemlich angeschlagen war, habe ich mich gleich in meine Gemächer zurückgezogen und mich in die Horizontale begeben.

 

Der kommende Morgen startete mit einem Wahnsinnsfrühstück, welches mir die Dame des Hauses zubereitet hat. Gemeinsam fuhren wir dann entlang der Route 6 Richtung TEPCO Verwaltung, wo das Briefing stattfinden sollte. Der Vortrag dauerte ca. 40 Minuten und dann gings in einem TEPCO-Bus Richtung Reaktorgelände. Nachdem wir mehrere Checkpoints und Sicherheitskontrollen durchquert haben war es dann endlich soweit und wir standen vor dem TEPCO Hauptquartier auf dem Reaktorgelände.

 

Wir wurden in einen kleinen Raum gebracht, es folgten diverse Sicherheitshinweise und ich wurde mit einem zusätzlichen Dosimeter ausgestattet. Kurz bevor es dann durch die Sicherheitsschleusen ging, kam leichte Unruhe unter den TEPCO Mitarbeitern auf. Ich merkte schnell, das es wohl um mich ging. Ein netter Herr kam zu mir und deutete auf meine, an den Knien zerrissene Jeans. Für mich haben sich diese Bedenken absolut nicht erschlossen, da ja z.B. auch meine Hände während des Besuchs ungeschützt waren. Wie dem auch sei, der freundliche Mitarbeiter regelte das ganz in TEPCO-Manier und klebte über die Löcher in meiner Hose einen großen Streifen Klebeband. Da musste nicht nur ich lachen – das ganze Headquarter lag flach.

 

Danach ging es durch einen Kontrollbereich, der dem eines Flughafens ähnelt. Sämtliche metallischen Gegenstände und elektronischen Geräte müssen abgelegt werden, bevor man durch einen Detektor geht. Kameras sind auf dem Gelände strikt verboten. (zumindest “normale” Kameras) Nachdem auch dieser Schritt erfolgreich gemeistert war, konnte es dann tatsächlich losgehen. In einem anderen Bus fuhren wir dann Richtung Osten. Das Gelände ist wirklich ziemlich groß und an allen Ecken und Enden wird gearbeitet. Mobile Messstationen, welche die aktuellen Strahlungswerte anzeigen, sind überall verteilt. Wenn man nicht wüsste, das man sich gerade auf einem Gebiet bewegt, welches von einer der schlimmsten Katastrophen der jüngsten Zeit betroffen wurde, könnte man meinen, man fährt durch ein großes Industriegelände.

 

Leider kannten die Ausläufer des aktuellen Typhoons keine Gnade und sorgten für ergiebigen Regen, welche mir nicht unbedingt in die Karten spielte, was meine Aufnahmen des Geländes anging. Aus einem Fahrzeug heraus bei starkem Regen und versteckter Kamera sind die Ergebnisse wirklich so gut wie nicht zu gebrauchen.

Top Location in Odaka

Sehr ruhig gelegen

Odaka Breakfast

Lecker!!!

TEPCO Briefing Room

Reserved

Safety first

TEPCO-Style

Abgesehen davon war es ein sehr beeindruckendes Erlebnis, das Reaktorgelände aus nächster Nähe zu sehen. Ein TEPCO-Mitarbeiter schilderte mehr oder weniger die verschiedenen Stufen des Unglücks bis hin zur Kernschmelze in den Reaktoren, während wir über das Gelände fuhren. Noch heute sieht man an einigen der Gebäude wie hoch der Wasserspiegel war, als der Tsunami die Küste traf. Fährt man dann weiter in Richtung der Blöcke 1 bis 4 ist man sogar unter dieser Markierung, da diese tiefer liegen als ein großer Teil des restlichen Areals. Der Höhenunterschied beträgt schätzungsweise bis zu 20 Meter. Block 5 und 6 wurden vom Tsunami verschont, da sie höher liegen.

 

Zu dem Zeitpunkt war mir noch nicht bewusst, wie nah ich an die Reaktoren herankommen würde. Kurz darauf war klar: viel näher geht es nicht. Der Kleinbus fuhr direkt zwischen Reaktorblock 1 und 2 entlang. Mein Dosimeter spielte verrückt und zeigte Werte von durchschnittlich 350 bis 400 mSv/h zwischen den Blöcken. Diese Werte sind aus dem Bus heraus gemessen, draußen liefen mehrere Arbeiter in Schutzkleidung herum, welche einer deutlich höheren Dosis ausgesetzt waren. Allerdings gelten auch hier, wie damals in Tschernobyl, bestimmte Maximalwerte, was die Arbeitszeit der Menschen vor Ort angeht.

 

Der japanischen Regierung ist sehr daran gelegen, die Situation vor Ort als “normal” darzustellen, bzw. unbedenklich. Aus diesem Grund wurden in den letzten Jahren mehrere Gebiete rund um das Kernkraftwerk als “sicher” eingestuft, um evakuierte Menschen wieder dazu zu bringen, in ihre Heimat zurückzukehren.

 

Größtenteils sind das ältere Menschen, wie ich selbst gesehen habe. Es gibt aber auch Ausnahmen – ein paar jüngere Familien sind zurück in das Gebiet gezogen – nicht zuletzt aufgrund staatlicher Vergünstigungen und niedriger Grundstückspreise. Viele Familien sind sogar doppelt hart getroffen, da ein Teil der Bewohner der Fukushima Präfektur genau dorthin umgesiedelt wurden nachdem sie ihre Heimat Hiroshima und Nagasaki verlassen mussten viele Jahrzehnte bevor der Tsunami die japanische Küste traf.

Zum Abendessen wurde ich in die Unterkunft der Lehrer eingeladen, wo auch Schüler untergebracht waren. Nach dem Essen gabs dann eine Unterrichtssession mit den Muttersprachlern und den japanischen Schülern, von der ich nichts wusste. Ich freute mich dennoch drauf, weil ich allem als passiver Zuschauer beiwohnen konnte, da ich ja nicht zum Kollegium gehörte. Es wurden 3-er Gruppen mit einem Lehrer und 2 Schülern gebildet. Mir wurde angeboten auch ein paar Schüler zu übernehmen, was ich aber dankend ablehnte. Wäre ich gesundheitlich nicht so angeschlagen gewesen, hätte ich meinen Bildungsauftrag vor Ort gnadenlos durchgezogen. Stattdessen bin ich mit dem Schulleiter, meinem Guide und den verantwortlichen Klassenlehrern um die Tische herum geschlendert und habe mich gefühlt, wie die Aufsicht bei einer Klassenarbeit – ein super Gefühl.

 

Nachdem alle Gruppen voreinander ihre Ergebnisse vorgetragen haben und das Ganze sich dem Ende zu neigen schien, hatte mein Guide die Wahnsinnsidee, mich doch noch mit einzubeziehen. In Erwartung gleich in mein Bett fallen zu dürfen und wankend an der Wand stehend hörte ich plötzlich die Worte: “We’re not finished yet. We have a very special guest here. He visited North Korea some days ago and arrived just yesterday, he’s from Germany and……..” Nachdem ich Germany gehört habe, dachte ich nur “bitte nicht…” Aber es war zu spät. Da musste ich jetzt durch. 26 Schüler und 9 Lehrer saßen vor mir und in ihren Augen konnte ich sehen, das von mir eine Art krönender Abschluß für diesen Abend erwaret wurde. Völlig unvorbereitet, vollgepumpt mit Medikamenten und wahnsinnig müde trat ich vor die interessiert schauende Menge an 17-jährigen Schülerinnen und Schülern. Frei reden war noch nie meine Stärke und der deutschen Pharmaindustrie verdanke ich meinen Begrüßungssatz: “Hi guys, my name is Andreas, I’m from Germany and I’m sick….”

 

Obwohl ich damit eigentlich nur meinen aktuellen körperlichen Zustand erklären wollte, hatte ich das Gefühl mich selbst in eine Position begeben zu haben, die alles was ich jetzt noch sagen würde entschuldigt. Wider Erwarten war ich dann doch ganz gut in Form und hab ein wenig von meinem DPRK-Trip erzählt, was bei den Schülern sehr gut ankam. Alles in allem: ein voller Erfolg.

 

Am kommenden Tag stand ja bereits meine Abreise auf dem Plan. Mein Flug ging aber erst 14:20 Uhr, von daher konnte ich den kompletten Vormittag nutzen, um ein paar der evakuierten Geisterstädte zu sehen. Offiziell ist es verboten die Privathäuser zu betreten, was man auch respektieren sollte. Da das Unglück noch nicht so lange her ist, sind die Überbleibsel in den Häusern noch sehr gut erhalten und man kann sich sehr gut vorstellen, in welcher Panik die Menschen ihre Häuser verlassen mussten. Natürlich gibt es auch in Japan die sogenannten “Stalker”, welche unbefugt Gebäude in der Zone erkunden – ähnlich wie in Tschernobyl.

 

Meinen Weg durchs Sperrgebiet könnt ihr euch hier anschauen: http://safecast.org/tilemap//?y=37.4133&x=141.0278&z=13&l=11&m=4&logids=37442

Dort sind die Strahlungswerte und die Strecke, die ich mit dem Auto zurückgelegt habe, aufgezeichnet. Die Daten vom Reaktorgelände habe ich leider nicht, da das mobile Messgerät im Auto bleiben musste.

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