Irak, 2022

Arbaeen pilgrimage, Fallujah, Tikrit, Mosul, Sinjar
Irak auf eigene Faust.

2022

Sep

Rating
75
Fotografie
50
Entdeckergeist
90
Militärpräsenz
10
Korruption
Location

Zu Fuß von Najaf nach Karbala, dann weiter über Tikrit nach Mosul

Den Irak auf eigene Faust erkunden war schon seit mehreren Jahren ein Thema, welches mich beschäftigt hat. Noch bis Anfang 2021 war es nicht möglich, ohne weiteres alleine einzureisen und sich durchs Land zu bewegen. Visa gab es nur, wenn man über einen offiziell lizensierten Touranbieter reisen würde, d.h. im Normalfall: Gruppenreise. Toll!

 

Nach ein wenig Recherche und ein paar mails war es aber auch möglich, diese Restriktionen zu umgehen. Die Planung war schon fast abgeschlossen, bis dann kurz darauf die Pandemie dazwischen kam. Also hieß es erneut: abwarten.

 

Als ich ein Jahr später unter meinem Stein hervorgekrochen kam, um der totalen Zombieapokalypse zu entgehen, hieß es auf einmal: Irak bietet Visa on arrival an. Nicht schlecht. Ich konnte mich also wieder voll ins Recherche-Business stürzen. Es gab ja noch unzählige Fragen zu klären, z.B. darf man sich im ganzen Land frei und unabhängig bewegen, gilt VOA auch für Landesgrenzen oder nur am Flughafen und und und.


Was relativ klar war: ein Visum ist kein Garant dafür, sich im ganzen Land frei bewegen zu können, bzw. überall hinzugehen, wo man möchte. Das liegt hauptsächlich an immer wieder aufflammenden Konflikten, welche nicht selten dazu führen, dass von jetzt auf gleich ein landesweites Ausgangsverbot verhangen wird. Zum anderen aber auch an der Willkür der Sicherheitskräfte an Checkpoints.

 

Der Irak ist das Land mit der höchsten Checkpoint-Dichte, welches ich bisher besuchen durfte. Je nachdem in welche Gegend man gerade möchte, ist es vergleichbar mit: “Einlass in der Dorfdisko” oder eben “Berghain”. Durch andere Reisen war ich mir dessen vorab durchaus bewusst. Das hieß für mich: möglichst gute Kontakte zu Leuten vor Ort aufbauen.

Die Planung

Bei all meinen Reisen stehen mindestens ein oder besser noch zwei ganz konkrete Ziele, bzw. Vorhaben in dem jeweiligen Land auf dem Programm. Der Rest, der während des Trips passiert ist gewissermaßen “Beiwerk”. Das klingt schlimmer als es wirklich gemeint ist, weil ja – wie so oft – eher bei den ungeplanten Dingen die interessantesten Sachen passieren. In diesem Fall waren zwei Ziele jedoch schon länger klar. Zum einen wollte ich unbedingt am jährlich stattfindenden Arbaeen teilnehmen und zum anderen habe ich mir vorgenommen die Sinjar Region, in der Nähe der syrischen Grenze zu besuchen.

 

Es gab noch zwei weitere, aber dafür war leider nicht genügend Zeit in den drei Wochen. Anstatt nur bis Fallujah wollte ich eigentlich bis nach Anah und Qa’im im äußersten Westen des Landes. Enden sollte mein Trip in Kuwait City, nachdem ich den sogenannten “Highway of Death” bis zur Grenze gefahren bin und von dort – wie auch immer – nach Kuwait City gekommen wäre. Ehrlich gesagt: Anah und Qa’im auszulassen war nicht leicht – vielleicht ein anderes Mal. Was Kuwait angeht habe ich lange mit mir gerungen und bin zu dem Schluß gekommen: lame! Es ist superheiß! Es ist superteuer! Es ist (vermutlich) superlangweilig! Also, no offence Kuwait…aber vielleicht in einem anderen Leben.

Zunächst galt es rauszufinden, wann genau Arbaeen ist, weil dies ja einer der Hauptgründe meiner Reise war. Normalerweise liefert Google da direkt Ergebnisse. Da sich der islamische Kalender aber nach dem Mond richtet und es regionale Unterschiede gibt, was die Sichtung des Mondes angeht, kann sich das auch gerne mal um einen Tag verschieben. In meinem Fall war das nicht schlimm, da ich für 3 Wochen bleiben wollte und somit flexibel war. Zudem ist es bei Arbaeen ja so, dass es zwar einen bestimmten Tag, bzw. sowas wie “von Freitag auf Samstag” gibt, was dann eben genau den Höhepunkt beschreibt. Allerdings pilgern zu Arbaeen jährlich Millionen von Menschen nach Karbala (2022 waren es über 21 Mio.), zu Fuß teilweise aus Basra im Süden des Irak, dass sich die Ankunft nicht immer zwangsweise auf genau diesen Tag festlegen lässt. Karbala wäre auch total überfordert, wenn es mit einem Schlag über 20 Mio. Menschen aufnehmen müsste. Es ist also ein laufender Prozess – im wahrsten Sinne des Wortes.

 

2022 fiel der Zeitpunkt auf den 16.09 bis 17.09. Ich begann also ein wenig zu rechnen, was meine geplanten Ziele im Land angeht und ob es sinnvoll ist Arbaeen nach alledem zu besuchen oder eben bevor ich das Land bereise. Ich entschied mich zu Zweiterem. Da ich sowieso in Baghdad landen würde und Najaf – der traditionelle Start der Pilger – gut mit Taxi erreichbar ist, erschien mir das eine kluge Wahl.

 

Nun galt es also noch, ein paar Leute vor Ort ausfindig zu machen, die mir beim Besuch von – sagen wir mal – “troubled areas” helfen können. Hier erwies sich Facebook als gute Anlaufstelle. In der ITC Gruppe (Iraq Travellers Café) gibt es jede Menge locals, die nicht nur nützliche Tipps geben, sondern oft auch als “Guide” zur Verfügung stehen oder einen Platz zum Schlafen anbieten.

Vor Ort

Nachdem ich um 3:00 Uhr nachts in Baghdad angekommen bin, musste ich mich noch um mein Visum kümmern. Das gleiche Problem hatten etwa 60 andere Leute auch. Ein behelfsmäßig, vor der Wand aufgebauter Tisch, diente als zentrale Anlaufstelle. Dahinter standen zwei zivil gekleidete Männer und ein uniformierter. Nachdem ich das zweiseitige Formular ausgefüllt habe, gab ich es zu einem der in zivil gekleideten Männer, inkl. meinem Pass. All das geschah in großem Gedränge, weil es keine Schlange zum anstehen oder ähnliches gab. Der Mann fragte mich nach meiner Hotelreservierung und ich ahnte schon worauf es hinauslief.

 

Dazu muss man wissen, das es – zum derzeitigen Zeitpunkt noch immer – ein beliebtes Mittel der Verantwortlichen ist, etwas nebenbei zu verdienen. Hat man keine Buchung in einem bestimmten Hotel (sie fragen nach hochpreisigen 4 Sterne Hotels) vorzuweisen, soll man 50$ zahlen, damit man sein Visum bekommt. Ja, spinn ich, oder was?! Überhaupt läuft der ganze Prozess, von Abgabe seiner Dokumente bis Erhalt des Visums, ab wie bei Wetten auf illegale Hahnenkämpfe. Da gibts keine Kasse, da führt niemand Buch drüber was reinkommt oder so. Die Scheine werden gebündelt und in die Hosentasche gesteckt. Die Leute drängen sich nach vorne durch, schreien ihre Namen und wedeln mit Dollarnoten, in der Hoffnung schnell ihren Pass samt Visum zu bekommen.

 

Nachdem ich nun wiederholt meinen Whatsapp Chatverlauf mit dem Hotel vorgezeigt habe und nach meinem 8 Stunden Layover in Istanbul, wo an Schlaf nicht zu denken war, wurde mir gesagt, ich müsse die 50$ zahlen, um mein Visum zu bekommen. Die Frage nach dem warum etc. kann man sich sparen.

 

Das ist ganz klar illegale Praxis, was da passiert. Aber es wird geduldet, von allen anwesenden Mitarbeitern die dort vor Ort sind. Was also tun, wenn man weiß sein Gegenüber sitzt am längeren Hebel und man will nicht unnötig Kohle raushauen? Meine Taktik: Verzweiflung und Ehrlichkeit. Klar, man kann auch in der großen Menge ‘n riesen Fass aufmachen und so auf Erfolg hoffen – ist aber nicht so mein Ding, zumal ich ja vor mir gesehen habe, das Leute das stillschweigend so hinnehmen und einfach zahlen.


Ich sagte ihm also, das ich nur ein oder zwei Nächte in dem Hotel bleiben wolle und deshalb keins von den 4 Sterne Hotels gebucht habe, zumal ich 2 Tage später ja gleich an Arbaeen teilnehmen wollte. Plötzlich war der finster dreinblickende Typ wie ausgewechselt. Er sagte: “Oh, you go to Arbaeen?” Ich: “Yes, I’m going to walk from Najaf to Karbala.” Daraufhin hieß es: “Ok, no problem, come with me.” Jackpot! Wer hätte das gedacht?! Mein Pass und Antragsformular wurde ganz vorne eingereiht und kurze Zeit später hatte ich mein Visum in den Händen. Ganz offensichtlich war der Typ Shia. Da war dann mein low budget Hotel plötzlich kein Thema mehr und mir wurden noch freundliche Worte mit auf den Weg gegeben.

Draußen schnappte ich mir das erstbeste Taxi, das ich kriegen konnte und es ging Richtung Innenstadt – mittlerweile war es kurz nach 4:00 Uhr morgens. Im Hotel angekommen begrüßte mich der Angestellte herzlich. Allerdings stellten wir beide schnell voneinander fest, dass der jeweils andere keiner Sprache mächtig ist um kommunizieren zu können. Im gleichen Moment höre ich von links ein paar Geräusche. Ich drehte mich in die Richtung und sah, dass im halbdunklen Foyer 3 Typen auf den Couches rumgammelten, mit Chips, Shisha, jeder Menge Zigaretten und Tee. Einer von ihnen kam in meine Richtung gelaufen und schien des Englischen wohl um einiges mächtiger zu sein, als der hiesige Angestellte. So lernte ich Issa kennen.

Er half mir dabei einzuchecken und währenddessen gabs ein bisschen Smalltalk. Er sagte, dass er und seine Freunde – die noch immer ganz mysteriös im halbdunklen herumlungerten – aus dem Libanon kommen und schon seit über einem Jahr in dem Hotel wohnen. Oha! Das versprach interessante Einblicke.

Nachdem ich mich ja einen Monat zuvor erst voll und ganz Ashoura in Nabatieh hingegeben habe, konnte ich gleich mit lokalem Fachwissen aufwarten. Das führte bei meinem Gegenüber zu spontanen Sympathiebekundungen und bei den anderen beiden zumindest erstmal dazu, das sie sich in eine aufrechte Sitzposition begaben und in meine Richtung sahen. Gefolgt von einer Einladung in die mysteriöse dunkle Ecke, um Shisha zu rauchen, Tee zu trinken und sich zu unterhalten.

Die anderen beiden wurden mir als Ali und Abbass vorgestellt. Verrückt – die halbe Schlacht von Karbala, namentlich versammelt an einem Tisch. Da alle drei schon lange nicht mehr in ihrer Heimat waren, sollte ich ihnen unbedingt Fotos zeigen, die ich im letzten Monat dort gemacht habe. Es stellte sich heraus, das Ali sogar Jimmy – meinen Host in Nabatieh – persönlich kannte. Issa und Ali zeigten mir ganz stolz ihre Fotos, die sie während Ashoura im Irak gemacht haben – blutüberströmt im weißen Gewand durch die Straßen Baghdads.

Mittlerweile war es 5:30 Uhr und klar, dass der kommende Tag wohl nicht sehr ergiebig sein wird, weil ich fast 2 Tage Schlaf nachholen musste. Wir verabredeten uns für den Abend in der Lobby und ich verabschiedete mich in meine Gemächer.

Erwartungsgemäß verbrachte ich den halben Tag in der Horizontalen. Einen echten Plan, was die kommenden Tage passieren sollte, hatte ich bis jetzt nicht. Eins war aber klar, in 6 Tagen ist Arbaeen und spätestens dann muss ich in Karbala sein, bevor ich zu weiteren Abenteuern aufbreche. Da ich durch meine neu gewonnenen Freunde quasi Informationen aus erster Hand gewinnen konnte, was sowohl logistische Herausforderungen, als auch den schiitischen Glauben an sich angeht, führte mein erster Weg natürlich nach unten in die Lobby.

Das gleiche Bild wie bei meiner früh morgentlichen Begegnung, nur eben bei Tageslicht. Die Jungs lungerten auf den Sitzgelegenheiten rum, aßen und tranken, schauten sich TikTok Videos an und begrüßten mich überschwänglich.


Ich setzte mich zu ihnen und erzählte ihnen mal so grob von meinen Plänen für die kommenden 2 bis 3 Wochen, von meinem Vorhaben an Arbaeen von Najaf nach Karbala zu laufen und dass ich noch jemanden suche, der mir mal Sadr City zeigt und überhaupt so ein bisschen Baghdad Sightseeing wäre auch nicht schlecht.


So schnell konnte ich gar nicht gucken, da hieß es: „Kein Problem, ich ruf jemanden an. Der hat ein Auto und fährt mit dir wohin du willst“. Sadr City wäre zwar etwas heikel und mal so ganz grundsätzlich: „What do you want to do in Sadr City? There’s nothing to see and it’s dangerous.“
Zum Zeitpunkt meiner Reise gab es mal wieder massive Ausschreitungen in der sogenannten „Green Zone“ von Baghdad. Dort befinden sich hauptsächlich Regierungsgebäude und Botschaften. Hunderte, hauptsächlich schiitische Demonstranten, verschafften sich Zugang zu dem normalerweise hochgesicherten Areal, um gegen den Rücktritt von Muqtada al-Sadr zu demonstrieren.


Es gab über zwei Dutzend Tote und hunderte Verletzte. Entsprechend angespannt war die Stimmung in der Stadt und vorallem eben in Sadr City, der Stadtteil dessen knapp 2 Mio. Einwohner fast nur Schiiten sind.
Die Swords of Qadissyah (auch Victory Arch genannt) wollte ich auch unbedingt besuchen, nur leider befinden die sich in der Green Zone. Zutritt nur für Regierungsbeamte oder Diplomaten – einzige Ausnahme wäre eine persönliche Einladung unterzeichnet durchs Innenministerium oder ein Schreiben der Botschaft. Da halfen weder mehrere Telefonate meiner neuen Freunde, noch meine Mail an die Deutsche Botschaft in Baghdad, in der ich darum bat, mich doch einfach mal einzuladen.


Ich wurde freundlich auf all das hingewiesen was ich sowieso schon wusste. Die Mail endete mit dem Satz „Im Übrigen gilt für den Irak eine Reisewarnung.“ Ähm, ja…vielen Dank auch. Ich versuchte mein Glück noch ein paar mal immer dann, wenn ich auf die hiesige Polizei traf – was in Baghdad wirklich nicht schwer ist bei der Anzahl an Checkpoints.
Alle die ich in meiner Zeit dort getroffen habe – und das waren nicht wenige – sind ausnahmslos wahnsinnig nett und zuvorkommend gewesen. An der Brücke traf ich auf eine Einheit die aus 6 Mann bestand. Jeder wollte ein Foto mit mir machen, natürlich einzeln wegen ihrer social media Kanäle – die müssen ja mit neuem Material besaftet werden.


Man tauschte Telefonnummern aus, Wasser gegen Zigaretten und Tipps wie man am schnellsten einen Asylantrag in Deutschland genehmigt bekommt. Zumindest war diese Frage bei fast allen auf die ich getroffen bin immer mit dabei.

Moment, ich schweife ab. Zurück in der Lobby und mittendrin in der Organisation der folgenden Tage. Also, Baghdad Sightseeing inklusive Sadr City mit (hoffentlich) vertrauenswürdigem Fahrer: Check! Was als nächstes? Arbaeen!

 

Ich wusste ja noch immer nicht, wie ich am besten von Baghdad nach Najaf komme oder ob es vielleicht sogar besser ist von Baghdad aus nach Karbala zu laufen. Klar habe ich vorab recherchiert, was gerade bei Arbaeen extrem wichtig ist, aber manche Dinge kann man eben erst vor Ort richtig abklären.
Wenn über 20 Mio. Menschen zu Arbaeen nach Karbala wollen, kann es schon mal sein dass es auf den Zufahrtswegen hier und da stockt oder man im worst case gar nicht hinkommt, weil viele Straßen einfach gesperrt sind.


Was also tun als absoluter Pilger Noob? Richtig, man fragt jemanden, der sich (vermeintlich) damit auskennen sollte.
Auch hier hieß es schnell: „Kein Problem, wir organisieren da was.“ Also, Logistik in Sachen Najaf klären: Check!

Mein lieber Mann, das läuft ja wie am Schnürchen hier. Wenn das so weitergeht habe ich innerhalb der nächsten 2 Stunden meinen kompletten Trip in Sack und Tüten. Gut, so einfach war es am Ende dann doch nicht, aber immerhin…ich hatte ein gutes Gefühl.
Wann kommt denn der Kollege, der mich durch Baghdad kutschiert? Tja, man wusste es nicht so genau, aber er kommt auf jeden Fall – wenn nicht heute, dann morgen. Hä? Wie, morgen? Leute, ich versuch hier zu planen.
Ich bin zwar durchaus flexibel da ich 3 Wochen bleibe und extrem dankbar über jede Hilfe von euch, aber eine gewisse Planungssicherheit wäre schon gut. Mal was anderes…wieso kommt ihr eigentlich nicht mit zu Arbaeen? Ist doch ein wichtiges Event für euch.


Leider nicht möglich, man müsse arbeiten. Jungs, mal ehrlich…ich hänge hier mit euch die zweite Nacht in Folge bis in die frühen Morgenstunden im Hotel rum. In der Zeit habt ihr noch keinen Finger krum gemacht. Was arbeitet ihr denn?
Hier hielt man sich allerdings sehr bedeckt, Import/Export im weitesten Sinne. Ahmmm, alles klar. Da frag ich mal nicht weiter nach. Das Arbeitszeitmodell war jedoch ein sehr flexibles, wie mir schien. Homeoffice möglich (in diesem Fall Hotel Office) und wenn jemand anruft, selbst nachts um 2:00, ist man mal eben für ein, zwei oder auch mal drei Stunden weg.

Am nächsten Tag war es dann endlich soweit und „Alawi“, mein Fahrer fürs Baghdad Sightseeing hat sich angekündigt. Ich sagte Issa am Vorabend, er solle ihn für 9:00 Uhr bestellen. Ok, wird gemacht. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe bis 11:00 Uhr gewartet und von Alawi war weit und breit nix zu sehen.
Toll! Die Jungs konnte ich auch nicht kontaktieren, weil sie nachts wieder „Import/Export“ Geschäfte gemacht haben und noch schliefen. Also schnappte ich meinen Rucksack und erkundete Baghdad alleine. Nachmittags kam ich dann zurück und traf auf „meine Gang“.


Leute, wie isses? Was ist mit Alawi? Pennt der, oder was? Ich hab gewartet. 9:00 Uhr war ausgemacht. Issa schaute mich mit großen Augen an und sagte, das kein Mensch frühs um 9:00 und überhaupt über die Mittagszeit freiwillig draußen ist, wenn er nicht unbedingt muss. Es wäre viel zu heiß.
Ja, hab ich gemerkt. Look at my Sonnenbrand! Anscheinend hielt er es für plausibel, dass ich mich für 9:00 Uhr abends verabreden wollte und hat das auch so mit Alawi kommuniziert. Junge, hier ist ab spätestens 18:30 alles zappenduster. Ich will ja auch was sehen und im Idealfall Fotos machen, bei Tageslicht wohlgemerkt.


Alles klar, hat er verstanden. Schön. Den Rest des Tages, des Abends und der Nacht verbrachten wir wieder in der Lobby, wo ich dann abends um 9:00 auch endlich Alawi kennenlernte. Wir verabredeten uns für den darauffolgenden Tag. Das hat dann auch gut funktioniert.

So langsam wurde ich nervös, noch 3 Tage bis Arbaeen und laut meiner Recherche braucht man für die knapp 80 km bis Karbala etwa 2,5 Tage, wenn man gut zu Fuß ist. Das hieß für mich: morgen muss ich Baghdad verlassen. Der Abend sollte jedoch eine Wendung bringen, was mein Vorhaben anging.
Die Jungs sagten mir, sie werden die Import/Export Geschäfte ein wenig ruhen lassen und kommen nun doch mit. Cool, road trip! Das versprach auf jeden Fall ein hohes Maß an Volkstümlichkeit mit sich zu bringen. Aber Moment mal, konnte ich mich darauf verlassen? Nicht das es kurz vorher heißt: Sorry, ist was dazwischen gekommen. Dann steh‘ ich da und glotz blöd.


Und wie kommen wir eigentlich nach Najaf? Tja, was soll ich sagen?! Alawi bekam seinen zweiten Einsatz. Die genaue Abfahrtszeit stand noch in den Sternen. Auf jeden Fall irgendwann morgen. So begab es sich, dass ich relativ früh in den kommenden Tag startete, um quasi von jetzt auf gleich startklar zu sein, wenn es heißt: Get on board! Next stop, Najaf.

Ich war ziemlich überrascht als ich in die Lobby kam und alle saßen schon da. Ready to go sahen sie zwar nicht aus, aber immerhin anwesend. Na, ihr Heinis! Kanns losgehen? Ich bin fit wie ’n Turnschuh! Leere Blicke aus toten Augen trafen die meinen. Was ist los?
Nächtlicher Import/Export Einsatz. Will heißen: Erstmal schlafen und dann kanns losgehen. Ich verbrachte den Tag damit, durchs über 40° heiße Baghdad zu laufen.

Arbaeen

Als ich am späten Nachmittag von meiner Erkundungstour zurück ins Hotel kam, war weit und breit nix von den anderen zu sehen. Gegen 19:00 Uhr kamen sie aus ihren Löchern hervorgekrochen und so langsam kam Bewegung in die Sache. Kurz vor 22:00 Uhr starteten wir zu sechst in einem alten Toyota Richtung Najaf. Selbst um diese Uhrzeit brauchten wir fast 1,5 Stunden um überhaupt erstmal aus Baghdad rauszukommen.
Die Stimmung an Bord war hervorragend und erinnerte mich an frühere Zeiten als man noch gemeinsam auf Partys gefahren ist. An Entspannung war jedoch ob der Beschaffenheit der Autobahn nicht zu denken. Unbeleuchtet, links und rechts nur Wüste…und das Beste: keine Leitplanken!
Durch die fehlenden Reflektionen konnte man also nicht sehen wohin die Straße führt. Als Referenz konnte man lediglich andere Autos nutzen, die sich ebenfalls auf der Straße bewegten. Mit Tempo 160 in einem überladenen Auto, an dessen Armaturen schon sämtliche Warnleuchten blinkten, half nur noch beten.

Gegen 1:00 Uhr nachts kamen wir in Najaf an. Nachdem wir noch ein paar andere Leute getroffen und in einem Restaurant gegessen haben, gings zur ersten Station auf unserer Pilgerreise: der Imam Ali Shrine.
Tausende von Menschen bahnten sich den Weg ins Innere des Heiligtums, um den Schrein mit ihren Händen zu berühren. Man muss kein Mathegenie sein, um zu verstehen das bei einer solch hohen Zahl von Pilgern die Kapazitäten des Gebäudes völlig erschöpft sind – und das über einen Zeitraum von mehreren Tagen rund um die Uhr.

Das Gute ist: Man kann nicht umfallen, selbst wenn man ohnmächtig werden sollte. Man befindet sich in einem Strom von Menschen, der nur eine Richtung kennt: Vorwärts zum Schrein. Richtig interessant wird es, wenn man dann in dem Raum ist, wo der Schrein dann in der Mitte steht. Jeder der sich in dem etwa 3 Meter breitem Strom mittig oder außen befindet, will jetzt natürlich nach innen, um nicht einfach am Schrein vorbeigedrückt zu werden. Hierzu werden sämtliche Kräfte mobilisiert und es spielen sich Szenen ab, die wirklich beängstigend sind. Ich hab gar nicht erst versucht den Schrein zu berühren, stattdessen habe ich mich mit den Alten und Schwachen am äußeren Rand der Menge vorbeitreiben lassen. Nachdem wir die Moschee verlassen haben liefen wir ein paar Kilometer durchs nächtliche Najaf und stiegen dann in einen luxuriösen SUV ein, dessen Besitzer ich zunächst nicht zuordnen konnte. Plötzlich waren wir auch irgendwie 8 oder 9 Leute. War mir alles scheißegal…wird schon seine Richtigkeit haben. Ich hoffte nur, es würde endlich losgehen. Während der Fahrt fiel mir wieder ein, wer der Fahrer und die anderen Leute waren – die hatten wir ein paar Stunden vorher im Restaurant getroffen. Ok, alles bestens. Also wohin soll es gehen? Wir fuhren zu einer Shisha Bar und dort hieß es: Wir warten bis zum Morgengrauen und dann gehts los. Wenn man bedenkt, das ich am Tag vorher um 7:00 aufgestanden und bis zum Nachmittag durch die Hitze Baghdads gedengelt bin, war ich gefühlt bei etwa 10% was meine körperliche Fitness angeht. In so ner rappelvollen Muffbude kriegste ja auch kein Auge zu. Noch 2 Stunden bis Sonnenaufgang. Das nächste woran ich mich erinnere war Issa’s Gesicht dicht vor dem meinen. „Come on, let’s go to Karbala!“ Mist, bin ich wohl doch kurz eingenickt. Mein Körper hatte sich innerhalb kürzester Zeit dazu entschieden in den Schlafmodus zu gehen – ohne mir vorher Bescheid zu sagen. Kurz mal in mich gehen und den allgemeinen Zustand checken. Immerhin stand jetzt genau das Event an, was ich seit Monaten geplant habe. War ich vor meinem Powernap noch bei knapp 10%, lag ich jetzt bei -30%. Kopfschmerzen ohne Ende, Körperhaltung wie der Glöckner und überhaupt war mein Gesamtzustand eher morsch. Ich habe wirklich kurz überlegt, mit den anderen über eine nicht gesperrte Straße bis nach Karbala zu fahren, um dann später Issa und Ali dort zu treffen. Aber, hey…wenn dir dein lädierter Körper sagt: „Mach mal lieber nicht!“, dein Kopf aber die ganze Zeit schreit: „Der Korpus muss nach Karbala!“, gibt es nur eine Wahl die getroffen werden kann. Man legt sich nochmal für 10 min. auf den Rücksitz von Alawi’s Toyota, der plötzlich auch irgendwie wieder da war, und hofft das vielleicht gleich die Welt untergeht. Während der Rest das morgentliche Gebet abhielt und ich aus dem Auto heraus auf der Straße mehr und mehr Menschen sah, die voller Enthusiasmus Richtung Karbala liefen war ganz klar: Ich zieh‘ das jetzt durch. Außerdem habe ich während meiner Recherche vorab gelesen, dass viele derer die nach Karbala laufen, von einer spirituellen Erfahrung berichten welche Kräfte in ihnen freigesetzt haben soll, die es ihnen überhaupt erst ermöglicht haben diese weite Strecke zu bewältigen. Kleiner Spoiler: Kann ich so nicht bestätigen. to be continued…
Imam Ali Shrine
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