Irak, 2022

Arbaeen pilgrimage, Fallujah, Tikrit, Mosul, Sinjar
Irak auf eigene Faust.

2022

Sep

Rating
75
Fotografie
50
Entdeckergeist
90
Militärpräsenz
10
Korruption
Location

Zu Fuß von Najaf nach Karbala, dann weiter über Tikrit nach Mosul

Den Irak auf eigene Faust erkunden war schon seit mehreren Jahren ein Thema, welches mich beschäftigt hat. Noch bis Anfang 2021 war es nicht möglich, ohne weiteres alleine einzureisen und sich durchs Land zu bewegen. Visa gab es nur, wenn man über einen offiziell lizensierten Touranbieter reisen würde, d.h. im Normalfall: Gruppenreise. Toll!

 

Nach ein wenig Recherche und ein paar mails war es aber auch möglich, diese Restriktionen zu umgehen. Die Planung war schon fast abgeschlossen, bis dann kurz darauf die Pandemie dazwischen kam. Also hieß es erneut: abwarten.

 

Als ich ein Jahr später unter meinem Stein hervorgekrochen kam, um der totalen Zombieapokalypse zu entgehen, hieß es auf einmal: Irak bietet Visa on arrival an. Nicht schlecht. Ich konnte mich also wieder voll ins Recherche-Business stürzen. Es gab ja noch unzählige Fragen zu klären, z.B. darf man sich im ganzen Land frei und unabhängig bewegen, gilt VOA auch für Landesgrenzen oder nur am Flughafen und und und.


Was relativ klar war: ein Visum ist kein Garant dafür, sich im ganzen Land frei bewegen zu können, bzw. überall hinzugehen, wo man möchte. Das liegt hauptsächlich an immer wieder aufflammenden Konflikten, welche nicht selten dazu führen, dass von jetzt auf gleich ein landesweites Ausgangsverbot verhangen wird. Zum anderen aber auch an der Willkür der Sicherheitskräfte an Checkpoints.

 

Der Irak ist das Land mit der höchsten Checkpoint-Dichte, welches ich bisher besuchen durfte. Je nachdem in welche Gegend man gerade möchte, ist es vergleichbar mit: “Einlass in der Dorfdisko” oder eben “Berghain”. Durch andere Reisen war ich mir dessen vorab durchaus bewusst. Das hieß für mich: möglichst gute Kontakte zu Leuten vor Ort aufbauen.

Die Planung

Bei all meinen Reisen stehen mindestens ein oder besser noch zwei ganz konkrete Ziele, bzw. Vorhaben in dem jeweiligen Land auf dem Programm. Der Rest, der während des Trips passiert ist gewissermaßen “Beiwerk”. Das klingt schlimmer als es wirklich gemeint ist, weil ja – wie so oft – eher bei den ungeplanten Dingen die interessantesten Sachen passieren. In diesem Fall waren zwei Ziele jedoch schon länger klar. Zum einen wollte ich unbedingt am jährlich stattfindenden Arbaeen teilnehmen und zum anderen habe ich mir vorgenommen die Sinjar Region, in der Nähe der syrischen Grenze zu besuchen.

 

Es gab noch zwei weitere, aber dafür war leider nicht genügend Zeit in den drei Wochen. Anstatt nur bis Fallujah wollte ich eigentlich bis nach Anah und Qa’im im äußersten Westen des Landes. Enden sollte mein Trip in Kuwait City, nachdem ich den sogenannten “Highway of Death” bis zur Grenze gefahren bin und von dort – wie auch immer – nach Kuwait City gekommen wäre. Ehrlich gesagt: Anah und Qa’im auszulassen war nicht leicht – vielleicht ein anderes Mal. Was Kuwait angeht habe ich lange mit mir gerungen und bin zu dem Schluß gekommen: lame! Es ist superheiß! Es ist superteuer! Es ist (vermutlich) superlangweilig! Also, no offence Kuwait…aber vielleicht in einem anderen Leben.

Zunächst galt es rauszufinden, wann genau Arbaeen ist, weil dies ja einer der Hauptgründe meiner Reise war. Normalerweise liefert Google da direkt Ergebnisse. Da sich der islamische Kalender aber nach dem Mond richtet und es regionale Unterschiede gibt, was die Sichtung des Mondes angeht, kann sich das auch gerne mal um einen Tag verschieben. In meinem Fall war das nicht schlimm, da ich für 3 Wochen bleiben wollte und somit flexibel war. Zudem ist es bei Arbaeen ja so, dass es zwar einen bestimmten Tag, bzw. sowas wie “von Freitag auf Samstag” gibt, was dann eben genau den Höhepunkt beschreibt. Allerdings pilgern zu Arbaeen jährlich Millionen von Menschen nach Karbala (2022 waren es über 21 Mio.), zu Fuß teilweise aus Basra im Süden des Irak, dass sich die Ankunft nicht immer zwangsweise auf genau diesen Tag festlegen lässt. Karbala wäre auch total überfordert, wenn es mit einem Schlag über 20 Mio. Menschen aufnehmen müsste. Es ist also ein laufender Prozess – im wahrsten Sinne des Wortes.

 

2022 fiel der Zeitpunkt auf den 16.09 bis 17.09. Ich begann also ein wenig zu rechnen, was meine geplanten Ziele im Land angeht und ob es sinnvoll ist Arbaeen nach alledem zu besuchen oder eben bevor ich das Land bereise. Ich entschied mich zu Zweiterem. Da ich sowieso in Baghdad landen würde und Najaf – der traditionelle Start der Pilger – gut mit Taxi erreichbar ist, erschien mir das eine kluge Wahl.

 

Nun galt es also noch, ein paar Leute vor Ort ausfindig zu machen, die mir beim Besuch von – sagen wir mal – “troubled areas” helfen können. Hier erwies sich Facebook als gute Anlaufstelle. In der ITC Gruppe (Iraq Travellers Café) gibt es jede Menge locals, die nicht nur nützliche Tipps geben, sondern oft auch als “Guide” zur Verfügung stehen oder einen Platz zum Schlafen anbieten.

Vor Ort

Nachdem ich um 3:00 Uhr nachts in Baghdad angekommen bin, musste ich mich noch um mein Visum kümmern. Das gleiche Problem hatten etwa 60 andere Leute auch. Ein behelfsmäßig, vor der Wand aufgebauter Tisch, diente als zentrale Anlaufstelle. Dahinter standen zwei zivil gekleidete Männer und ein uniformierter. Nachdem ich das zweiseitige Formular ausgefüllt habe, gab ich es zu einem der in zivil gekleideten Männer, inkl. meinem Pass. All das geschah in großem Gedränge, weil es keine Schlange zum anstehen oder ähnliches gab. Der Mann fragte mich nach meiner Hotelreservierung und ich ahnte schon worauf es hinauslief.

 

Dazu muss man wissen, das es – zum derzeitigen Zeitpunkt noch immer – ein beliebtes Mittel der Verantwortlichen ist, etwas nebenbei zu verdienen. Hat man keine Buchung in einem bestimmten Hotel (sie fragen nach hochpreisigen 4 Sterne Hotels) vorzuweisen, soll man 50$ zahlen, damit man sein Visum bekommt. Ja, spinn ich, oder was?! Überhaupt läuft der ganze Prozess, von Abgabe seiner Dokumente bis Erhalt des Visums, ab wie bei Wetten auf illegale Hahnenkämpfe. Da gibts keine Kasse, da führt niemand Buch drüber was reinkommt oder so. Die Scheine werden gebündelt und in die Hosentasche gesteckt. Die Leute drängen sich nach vorne durch, schreien ihre Namen und wedeln mit Dollarnoten, in der Hoffnung schnell ihren Pass samt Visum zu bekommen.

 

Nachdem ich nun wiederholt meinen Whatsapp Chatverlauf mit dem Hotel vorgezeigt habe und nach meinem 8 Stunden Layover in Istanbul, wo an Schlaf nicht zu denken war, wurde mir gesagt, ich müsse die 50$ zahlen, um mein Visum zu bekommen. Die Frage nach dem warum etc. kann man sich sparen.

 

Das ist ganz klar illegale Praxis, was da passiert. Aber es wird geduldet, von allen anwesenden Mitarbeitern die dort vor Ort sind. Was also tun, wenn man weiß sein Gegenüber sitzt am längeren Hebel und man will nicht unnötig Kohle raushauen? Meine Taktik: Verzweiflung und Ehrlichkeit. Klar, man kann auch in der großen Menge ‘n riesen Fass aufmachen und so auf Erfolg hoffen – ist aber nicht so mein Ding, zumal ich ja vor mir gesehen habe, das Leute das stillschweigend so hinnehmen und einfach zahlen.


Ich sagte ihm also, das ich nur ein oder zwei Nächte in dem Hotel bleiben wolle und deshalb keins von den 4 Sterne Hotels gebucht habe, zumal ich 2 Tage später ja gleich an Arbaeen teilnehmen wollte. Plötzlich war der finster dreinblickende Typ wie ausgewechselt. Er sagte: “Oh, you go to Arbaeen?” Ich: “Yes, I’m going to walk from Najaf to Karbala.” Daraufhin hieß es: “Ok, no problem, come with me.” Jackpot! Wer hätte das gedacht?! Mein Pass und Antragsformular wurde ganz vorne eingereiht und kurze Zeit später hatte ich mein Visum in den Händen. Ganz offensichtlich war der Typ Shia. Da war dann mein low budget Hotel plötzlich kein Thema mehr und mir wurden noch freundliche Worte mit auf den Weg gegeben.

Draußen schnappte ich mir das erstbeste Taxi, das ich kriegen konnte und es ging Richtung Innenstadt – mittlerweile war es kurz nach 4:00 Uhr morgens. Im Hotel angekommen begrüßte mich der Angestellte herzlich. Allerdings stellten wir beide schnell voneinander fest, dass der jeweils andere keiner Sprache mächtig ist um kommunizieren zu können. Im gleichen Moment höre ich von links ein paar Geräusche. Ich drehte mich in die Richtung und sah, dass im halbdunklen Foyer 3 Typen auf den Couches rumgammelten, mit Chips, Shisha, jeder Menge Zigaretten und Tee. Einer von ihnen kam in meine Richtung gelaufen und schien des Englischen wohl um einiges mächtiger zu sein, als der hiesige Angestellte. So lernte ich Issa kennen.

Er half mir dabei einzuchecken und währenddessen gabs ein bisschen Smalltalk. Er sagte, dass er und seine Freunde – die noch immer ganz mysteriös im halbdunklen herumlungerten – aus dem Libanon kommen und schon seit über einem Jahr in dem Hotel wohnen. Oha! Das versprach interessante Einblicke.

 

Nachdem ich mich ja einen Monat zuvor erst voll und ganz Ashoura in Nabatieh hingegeben habe, konnte ich gleich mit lokalem Fachwissen aufwarten. Das führte bei meinem Gegenüber zu spontanen Sympathiebekundungen und bei den anderen beiden zumindest erstmal dazu, das sie sich in eine aufrechte Sitzposition begaben und in meine Richtung sahen. Gefolgt von einer Einladung in die mysteriöse dunkle Ecke, um Shisha zu rauchen, Tee zu trinken und sich zu unterhalten.

 

Die anderen beiden wurden mir als Ali und Abbass vorgestellt. Verrückt – die halbe Schlacht von Karbala, namentlich versammelt an einem Tisch. Da alle drei schon lange nicht mehr in ihrer Heimat waren, sollte ich ihnen unbedingt Fotos zeigen, die ich im letzten Monat dort gemacht habe. Es stellte sich heraus, das Ali sogar Jimmy – meinen Host in Nabatieh – persönlich kannte. Issa und Ali zeigten mir ganz stolz ihre Fotos, die sie während Ashoura im Irak gemacht haben – blutüberströmt im weißen Gewand durch die Straßen Baghdads.

 

Mittlerweile war es 5:30 Uhr und klar, dass der kommende Tag wohl nicht sehr ergiebig sein wird, weil ich fast 2 Tage Schlaf nachholen musste. Wir verabredeten uns für den Abend in der Lobby und ich verabschiedete mich in meine Gemächer.

 

Erwartungsgemäß verbrachte ich den halben Tag in der Horizontalen. Einen echten Plan, was die kommenden Tage passieren sollte, hatte ich bis jetzt nicht. Eins war aber klar, in 6 Tagen ist Arbaeen und spätestens dann muss ich in Karbala sein, bevor ich zu weiteren Abenteuern aufbreche. Da ich durch meine neu gewonnenen Freunde quasi Informationen aus erster Hand gewinnen konnte, was sowohl logistische Herausforderungen, als auch den schiitischen Glauben an sich angeht, führte mein erster Weg natürlich nach unten in die Lobby.

 

to be continued……..

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