Pakistan, 2018
From Khyber Pass to Khunjerab Pass
2018
Dec
Unterwegs im Land der Achttausender
Eigentlich sollte Pakistan nur als Mittel zum Zweck für meinen Grenzübertritt von Afghanistan dienen. Will heißen: wenn ich es tatsächlich schaffe über den Khyber Pass einzureisen, wäre es ja blöd gleich am kommenden Tag wieder nach Hause zu fliegen. Wenn ich also schon mal da bin, schau ich mir doch gleich an, was das Land zu bieten hat. Zudem wäre es sicher von Vorteil, jemanden auf dieser Seite der Grenze zu kennen, der einem im worst case helfen kann.
Das waren so meine Gedanken, als ich mich mit der Planung beschäftigt habe.
Von Pakistan selbst habe ich bis dato zwar schon ein paar Dinge gewusst, aber etwas intensivere Recherche erschien mir doch angebracht. Als das Land der “Achttausender” bekannt ist Pakistan vor allem in den vergangenen Jahren – sagen wir mal – eher negativ in der öffentlichen Berichterstattung aufgefallen. Der Konflikt um Kashmir mit den indischen Nachbarn, der Vorwurf der Terrorfinanzierung, bzw. Unterstützung durch den ISI (Inter-Services Intelligence) und und und.
Wohlwissend das ich selbst ab 3000m Höhe und einem Aktionsradius von nur 50m pumpe wie ein Maikäfer, dachte ich mir warum nicht mal persönlich vorbeischauen, um sich ein Bild vom status quo zu machen. Klar, weder die Gipfel von Gasherbrum I bis IV, noch K2 oder Nanga Parbat werden jemals mein Gesicht aus der Nähe zu sehen bekommen…aber: mal ansatzweise ein Gefühl davon bekommen, was es heißt sich mit solchen Gipfeln auseinanderzusetzen, wäre die Reise doch wert.
Und eins kann ich definitiv sagen: Wer wirklich mal testen möchte, wie fit er eigentlich ist, sollte eine solche Reise mal machen.
Die Planung
Man sagt zwar immer “der Weg ist das Ziel.”, aber manchmal ist der Weg auch einfach nur eine 14 Stunden dauernde Autofahrt durchs karge, winterliche Hochgebirge. Links und rechts nur Berge und Geröll, wohlwissend man hat noch 400 km vor sich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 60 km/h.
Ehrlicherweise muss ich sagen, dass mir die Entfernungen vorab nicht so richtig bewusst waren, aber das eigentliche Ziel entschädigt dann doch sehr für die Strapazen.
Aufgrund meiner Reisezeit, die außerhalb der regulären Saison lag, musste die Route nach Norden etwas angepasst werden. Die östliche Route (N15) ist im Winter gesperrt, deshalb mussten wir die westliche Route N35 nehmen, welche durch Battagram und Besham, weiter nach Dasu bis nach Chilas führt – ein deutlich längerer Weg.
Alles was ansatzweise interessant für mich war entlang dieser Route wurde vorab besprochen und meine eigenen Vorschläge waren ebenfalls nicht wirklich problematisch. Auch wenn wir Bin Laden’s Hideout in Abbottabad erst auf dem Rückweg besucht haben, um nicht schon vorher vielleicht Ärger mit den Behörden zu bekommen und dann an sämtlichen Checkpoints Richtung Norden kontrolliert zu werden.
Vor Ort
Wer meinen Bericht HOW I CROSSED THE KHYBER PASS gelesen hat, wird wissen, das ich noch immer etwas durch war von dem was geschehen ist. Wohlwissend das die Aktion “nicht ganz ohne” sein würde, habe ich vorab mit meinem Guide verabredet, das ich den kommenden Tag eher gediegen verbringen würde.
Das tat ich dann auch und habe die meiste Zeit im Hotel verbracht, um mich auf die kommenden Tage vorzubereiten, die sicher anstrengend sein würden.
Am kommenden Tag gings wieder richtig früh los, weil wir eine Strecke von über 350 Kilometern zurücklegen mussten. 70 km von Islamabad entfernt fuhren wir dann durch Abbottabad, weiter nach Besham bis nach Chilas. Dort kamen wir ca. 22:00 Uhr an. Wie in all meinen Unterkünften auf der Tour, war ich der einzige Gast im Hotel – off season. Das kam mir ganz gelegen.
Was mir vorab jedoch nicht so richtig bewusst war: off season bedeutet auch, es ist schweinekalt im Winter und Heizung ist ein Fremdwort im Himalaya. Stattdessen bekommt man eine Gasflasche mit offenem Feuer ins Zimmer gestellt, was nur bedingt wärmt. Im Zwiebelschalenmodus habe ich mich dann ins Bett gelegt. Warm eingemuggelt schlief ich ein, warm eingemuggelt wachte ich auf.
Aufgrund der Temperaturen und mangelnden warmen Wassers gabs nur Katzenwäsche am kommenden Morgen. Nichts desto trotz war ich Feuer und Flamme, da heute unter anderem der Besuch vom Nanga Parbat Viewpoint anstand. Der Aussichtspunkt, von dem man den 8000-er sehr gut sehen kann, ist relativ unspektakulär. Der Blick jedoch ist schon ziemlich beeindruckend.
Möchte man einen besseren Blick haben und noch näher dran sein, empfiehlt sich ein Ausflug zum Nanga Parbat Basecamp oder auch den vorgelagerten Fairy Meadows. Idealerweise besucht man diese Gegend jedoch während der Saison, da der Ausblick und das Drumherum dann deutlich schöner ist. Für einen solchen Trip muss man aber ein paar Tage einplanen. Nach Fairy Meadows zu kommen ist leicht. Am besten organisiert man dafür über einen der vielen lokalen Anbieter einen Jeep. Der bringt einen dann fast bis zu Fairy Meadows, aber eben nicht ganz. Man muss dann noch einen knapp zweistündigen Fußmarsch absolvieren, bis man da ist.
Das ist die einzig legale Art und Weise dorthin zu gelangen. Natürlich kann man auch versuchen auf eigene Faust zu starten, aber aufgrund der vielen Checkpoints ist das nicht wirklich empfehlenswert.
Der Norden Pakistans mit seinen unzähligen Bergen und der rauen Natur ist wirklich nur schwer zu beschreiben. Es ist wahnsinnig beindruckend all das zu sehen und zu verarbeiten. Ehrlicherweise muss ich aber zugeben, dass ich ab einem gewissen Zeitpunkt keine Berge mehr sehen konnte und wollte.
Hunza Valley
Nächstes Ziel meiner Reise war das Hunza Valley, genauer gesagt Karimabad, die Hauptstadt dieser Region. Im Frühjahr und Sommer ist hier die Hölle los. Da wimmelt es nur so von Touristen. Typische Attraktionen sind z.B. das Altit Fort und das Baltit Fort, von wo aus man einen tollen Blick auf das Tal und den Hunza River hat. Den besten Blick auf Hunza und die umliegenden 7000-er und 6000-er hat man vom sogenannten “Eagle’s Nest”, einem hochgelegenen Aussichtspunkt wo man während der Saison auch campen kann. Was ich empfehlen kann ist, sich hier den Sonnenuntergang anzuschauen.
Da mir diese ganzen, doch sehr touristischen, Ziele nicht so richtig liegen, habe ich gefragt ob ich nicht mal eine der lokalen Schulen sehen kann. Das war dann auch problemlos machbar und ich hatte die Möglichkeit, die Hasegawa Memorial Public School zu besuchen. Die Schule wurde nach dem japanischen Bergsteiger Tsuneo Hasegawa benannt, der beim Versuch den Ultar Sar zu besteigen ums Leben gekommen ist. Dessen Witwe Masami Hasegawa hat in Erinnerung an ihren Mann diese Schule gegründet und ihr so den Namen verliehen.
Natürlich kann man da nicht einfach so reinspazieren, also wurde ich kurzfristig beim Schuldirektor angekündigt. Er hat sich sogar die Zeit genommen, mir eine kleine Führung durch die Schule zu geben. Wir besuchten mehrere Klassen und ich konnte am Unterricht teilhaben. Es war schön zu sehen, dass in einem Land wie Pakistan, Mädchen und Jungen gemeinsam in einem Klassenzimmer sitzen und Religion hier nur eine untergeordnete Rolle spielt. Das Hunza Valley ist allgemeinhin bekannt für Toleranz und Offenheit. Das wurde mir in dieser Schule ganz besonders deutlich.
Khunjerab Pass
Highlight und quasi krönender Abschluß des Besuchs im Norden stand am nächsten Tag an. Ein Besuch des Khunjerab Pass, der Grenze zu China. Glücklicherweise war der Tag meiner Reise der letzte Tag bevor die Straße nach China geschlossen wird aufgrund der Witterungsverhältnisse. Die Fahrt dauert ca. 4 Stunden und man legt einen Weg von ungefähr 180 km zurück. Während der Fahrt kann man unter anderem den Attabad Lake unweit von Karimabad sehen und wenn man möchte mit einem Boot befahren.
Ziemlich cool war der Besuch der Hussaini Bridge. Sie galt mal als eine der gefährlichsten Brücken der Welt, bevor sie etwas optimiert wurde. Ungefährlich ist sie dennoch nicht. Die Brücke wurde von den Bewohnern des Hussaini Village gebaut und wird auch in unregelmäßigen Abständen gewartet. Die Kosten für die Wartung holen sich die Bewohner rein indem sie eine Gebühr fürs Überqueren der Brücke verlangen, was aber nur in der Saison der Fall ist. Man muss schon mutig sein, die Brücke komplett zu überqueren. Die Lücken zwischen den Planken sind mindestens doppelt so groß wie die Planken selbst. Das ganze Konstrukt wackelt wie ein Kuhschwanz. Für ein Foto habe ich mich dennoch ca. 20 m auf die Brücke getraut.
Je weiter man Richtung Norden fährt, desto karger wird die Landschaft. Der Grenzübergang ist doppelt so hoch gelegen wie Karimabad. Die Luft wurde also mit jedem Kilometer dünner und der Schnee lag nicht nur mehr auf den Bergen, sondern zunehmend auch auf der Straße. Mit zunehmender weißer Pracht nahm auch die Zahl der Tiere zu, die man beobachten konnte. In Schrittgeschwindigkeit schlängelten wir uns den Pass hinauf und dann war es plötzlich soweit. In der Ferne konnte ich das große Tor des Grenzübergangs sehen, von schneebedeckten Bergen umgeben, auf knapp 5000 m Höhe. Ein Anblick den man so schnell auch nicht vergessen wird.
Ich habe während meines ca. 15 minütigen Aufenthalts direkt vor dem Tor nicht einen einzigen Chinesen gesehen, was aber wahrscheinlich auch daran lag, das es mit -7° Celsius nicht unbedingt die richtige Zeit für Außeneinsätze war. Außerdem werden Personen, die nach China weiterreisen möchten, von den pakistanischen Behörden angekündigt. Erst dann kommt der Chinese aus seiner massiven Behausung, um die Abfertigung vorzunehmen.
100 m vor dem eigentlichen Grenzübergang liegt der pakistanische Kontrollposten. Dort befindet sich übrigens der höchstgelegene Geldautomat der Welt, welcher ausschließlich durch erneuerbare Energien betrieben wird. Eine Art Marketing-Gag, wenn man mich fragt, weil es dort kilometerweit keine Shoppingmöglichkeit gibt. Ob der Automat dort wirklich Sinn macht oder nicht, ist eigentlich egal. Pakistan hat somit den Rekord des höchstgelegenen ATM weltweit und nur das zählt. Außerdem ist es ein zusätzlicher Anreiz für Touristen, den Weg bis zur Grenze auf sich zu nehmen. Ich muss aber sagen, dass ein Trip zum Khunjerab Pass auch ohne den Rekord-ATM eine Reise wert ist.
Abbottabad
Nach dem 7. Tag mit Bergen, Schnee und Kälte im Norden war bei mir eine gewisse Sättigung erreicht und es ging zurück in Richtung Islamabad. Da die Strecke nicht mit einer Fahrt zurückgelegt werden kann, machten wir Halt in Besham, wo wir dann auch übernachtet haben. Nachteil hiervon war: die hiesigen Behörden haben Wind davon bekommen, dass sich ein Ausländer in der Gegend aufhält. Bisher konnte ich mich an Checkpoints immer ganz gut “unsichtbar machen” – Pakol auf dem Kopf und Shalwar kameez am Körper. Hat man Glück, wirft die Polizei nur einen flüchtigen Blick ins Fahrzeug und man kann passieren. Hat man Pech, muss man aussteigen, Pass vorzeigen, Daten werden aufgenommen – natürlich analog. Das kann sich sehr hinziehen bei den ganzen Checkpoints und somit die Reisedauer extrem verlängern. Zumal einmal erkannt als Ausländer, wird man von bewaffneten Begleitfahrzeugen von einem Checkpoint zum nächsten gefahren und hat keine wirkliche Flexibilität mehr.
Sowas war für unser Vorhaben auf dem Rückweg natürlich alles andere als hilfreich. Der Plan war nämlich, trotz großer Sicherheitsbedenken meines Guides und Fahrers, Bin Laden’s Hideout in Abbottabad zu besuchen. Selbst ohne Begleitschutz ist das etwas, was wirklich nicht so ohne Weiteres zu machen ist. Das Areal, wo einstmals das Haus stand, in dem er Unterschlupf gefunden hat, befindet sich in unmittelbarer Nähe einer großen Militärbasis, die natürlich auch weiträumig abgesperrt ist. Luftlinie zur Basis ist weniger als 1 km. Durch ein geschicktes Manöver kurz vor Abbottabad konnte mein Fahrer den Begleitschutz abwimmeln und wir hatten wieder freie Fahrt. Mein Fahrer kam aus einem Vorort von Abbottabad und kannte sich gut aus in der Stadt. Er wusste welchen Weg man zu nehmen hatte, um möglichst unbehelligt zu bleiben.
Auch wenn der Name Abbottabad eher an einen Luftkurort erinnert, ist jedes Fahrzeug, das nicht auf der N35 Hauptstraße fährt und kein lokales Kennzeichen hat, verdächtig. Nachdem wir also die Hauptstraße verlassen haben und durch kleine Seitenstraßen gefahren sind, musste ich mich so gut wie möglich im Wagen verstecken, damit ich keine unnötige Aufmerksamkeit errege bei den Anwohnern. Eine Situation die jeder kennt, der in einem kleinen Dorf wohnt. Sobald ein Auto mit auswärtigem Kennzeichen auftaucht, das langsam durch Seitenstraßen fährt, werden Gardinen zurückgezogen, Omas tauchen hinter Fenstern auf und es werden Telefone gezückt um bei der Nachbarschaft nachzufragen, ob man denn jemanden von außerhalb erwartet. Da nimmt sich die deutsche Provinz nicht viel mit der pakistanischen.
Mein Guide und Fahrer wurden auch zunehmend nervöser, je näher wir kamen. Die beiden waren vorher auch noch nie dort gewesen und waren selbst erstaunt, das wir es bisher soweit geschafft haben, ohne gestoppt worden zu sein. Dementsprechend angespannt und unkommunikativ war die Stimmung im Fahrzeug. Durch meine Vorabrecherche konnte ich aber in etwa erahnen wo wir uns gerade aufhalten und als wir dann in die kleine Gasse einbogen, wo sich das Grundstück befindet, wurde nochmal kurz gesagt: “Ok, we are very close. Be careful when taking pictures. All eyes are on us.”
Dann ging auch alles sehr schnell. Wir fuhren in die kleine Gasse, rechtsseitig befand sich das Gelände, wo einst das Haus stand. Dort ist seit dem Abriss alles überwuchert mit Gras. Erstaunlicherweise finden auf dem Gelände jedoch Bebauungsmaßnahmen statt. Am nördlichen Ende steht ein kleines unfertiges Gebäude. Dort waren zwei Leute am werkeln, von denen einer sofort sein Mobiltelefon zückte als er uns sah. Dieser Ort ist so gelegen, das man da nicht zufällig vorbeikommt. Man muss schon explizite Absichten haben dort zu sein, deshalb war das Telefonat des Anwohners, eventuell auch neuen Bauherrens, ein Alarmzeichen für uns. Wir müssen die Gegend umgehend verlassen, bevor wir in Schwierigkeiten geraten. Das hätte alles Mögliche sein können…von aufgebrachten Anwohnern bis hin zu alarmierten Soldaten der Militärbasis. Die Zusammenhänge sind dort fließend.
Die Gesamtdauer meines Aufenthalts in der kleinen Gasse betrug nicht länger als 4 Minuten. Nicht einfach in so kurzer Zeit kopfmäßig zu verarbeiten, wo man gerade ist und gleichzeitig Material zu generieren. Abgesehen davon war ja immer noch in meinem Hinterkopf der Gedanke daran, das einem das pakistanische Militär gleich auf den Versen sein wird, oder man vom Geheimdienst stadtauswärts angehalten wird.
Fazit
Für Naturliebhaber und Alpinisten ist der Norden Pakistans ein absolutes Paradies. Während der Saison sicher etwas überfüllt, aber außerhalb der normalen Saison “brechend leer”. Für mich persönlich ist ein einmaliger Besuch allerdings ausreichend. Sollte ich nach Pakistan zurückkehren, dann ganz sicher nur aus dem Grund, dem Süden des Landes einen Besuch abzustatten. Ok, ein weiterer Grund wäre wohl der mit der Bahn über den Khyber Pass zu reisen. Die Schienen liegen noch, aber der Bahnverkehr ist seit 2006 eingestellt. Die Verbindung besteht bereits seit den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts und ist absolut legendär. Eine Reaktivierung kann ich mir aber bei der momentanen Situation nicht vorstellen.
Wer auf Streetphotography steht, sollte übrigens Rawalpindi auf dem Plan haben.