Afghanistan, 2018
2018
Nov
Auf ins Land der Taliban
Where next? Afghanistan? Pakistan? Why not?! Gut, die haben sicher nicht auf jemanden wie mich gewartet, aber mal persönlich vorbeischauen schadet sicher nicht. Zum ersten Mal habe ich innerhalb eines Jahres gleich zwei große Reisen gemacht. Im Sommer noch mit dem Zug durch Nordkorea bis Russland gedengelt und anschließend den Reaktor in Fukushima besucht – sollte eigentlich reichen, möchte man meinen. Allerdings war ich so angefixt und hatte echt Bock drauf, meinen Geburtstag wieder außer Landes zu verbringen, dass ich mich dazu entschieden habe einen weiteren Trip zu organisieren.
Afghanistan ist strategisch günstig gelegen. Seit Jahrzehnten ist das Land von Kriegen und ethnischen Auseinandersetzungen gebeutelt. Rückzugsort von Extremisten jeglicher Art. Insbesondere das Grenzgebiet zu Pakistan ist schon lange im Fokus westlicher Geheimdienste und Schauplatz von Konflikten.
Warum ist das so? Schaut man sich Afghanistan auf der Landkarte an, sieht man auf den ersten Blick nicht wirklich einen Grund, dort jahrelang so Alarm zu machen. Ein Großteil des Landes besteht aus unwegsamen Gelände, die Berge des Hindukush Gebirges sind zwar wunderschön anzusehen, aber strategisch doch eher ein Graus. Afghanistan hat keinen Zugang zum Meer und ist somit rein ökonomisch nicht wirklich interessant. Betrachtet man das Ganze jedoch aus geopolitischer Sicht, macht es schon deutlich mehr Sinn. Angrenzend an den Iran im Westen und im Norden die “4 Stans”, die als kleiner Puffer bis Russland dienen und im Osten Pakistan.
Ich bin kein Politikexperte, aber aus westlicher Sicht macht es durchaus Sinn, sich dort eine Art “zweites Standbein” zu schaffen.
All diese Überlegungen sind kein Expertenwissen und entstammen nur meinen persönlichen Gedanken. Mag sein, dass jemand der sich in solchen Dingen besser auskennt, die Hände über dem Kopf zusammenschlägt bei meinen Ausführungen, aber ich bin immer offen für einen Diskurs. Man kann nun mal nicht einfach in solche Gegenden reisen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was dort los ist und wieso überhaupt. All das sollte ich im Laufe der kommenden Tage noch erfahren.
Die Planung
Ich habe bereits vor meinem Nordkorea- und Fukushima Trip mit den Recherchen begonnen und verschiedene Kontakte geknüpft. Es ist eigentlich relativ einfach nach Afghanistan zu reisen. Es gibt die “üblichen Verdächtigen” Anbieter, welche meist Touren im Wakhan Corridor anbieten – ein kleiner Landstrich im Nordosten des Landes, der an Tadschikistan, Pakistan und China grenzt. So ziemlich der einzige Teil Afghanistans, der wirklich als sicher bezeichnet werden kann. Naturmäßig auf jeden Fall ganz weit vorne. Das kam für mich allerdings nicht in Frage, weil ich – sagen wir mal so – doch etwas “speziellere” Wünsche hatte, was meinen Aufenthalt und die Route angeht.
Mein Ziel war es, so viel wie möglich mit dem Auto zu reisen. Nicht aus Kostengründen, sondern viel eher somit deutlich mehr von Land und Leuten mitzubekommen. Natürlich gibt es viele Gegenden, die je nach aktueller Sicherheitslage, nicht mit dem Auto passiert werden können und man auf einen Flug angewiesen ist. Meist aus dem Grund, das ein bestimmtes Gebiet auf der Strecke von den Taliban kontrolliert wird, und diese dann an unterschiedlichen Stellen Checkpoints errichten. Kommt man dann an einen dieser Checkpoints, hat sich die Reise schnell erledigt. Geografisch und topografisch bedingt, gibt es auch immer nur eine größere Straße die von A nach B führt – falls also der worst case eintreten sollte, hat man keine Chance zu entkommen. Das will man ja dann auch nicht unbedingt.
Nachdem ich also einen lokalen Kontakt ausfindig gemacht habe, ging es ins Detail was den konkreten Ablauf angeht. Wir einigten uns relativ schnell auf Route und zu besuchende Orte.
Wie das aber so ist, muss man öfter mal mit Rückschlägen rechnen, was geplante Ziele angeht. In meinem Fall war es die Tatsache, das eine Reise nach Bamiyan und den Band-e-Amir National Park nicht stattfinden konnte. Das erfuhr ich aber erst zwei Wochen vor Reiseantritt.
Der Grund: wie oben bereits erwähnt kann man von Kabul nicht mit dem Auto dorthin fahren, weil die Route durch Talibangebiet führt. Eine Flugverbindung gibt es zwar, aber die afghanische Airline Kam Air flog diese Route zur Zeit meines Besuchs nicht, da viele ihrer Angestellten beim Anschlag auf das Intercontinental-Hotel im Januar 2018 getötet wurden und somit etliche Flüge ausfallen mussten. Die Enttäuschung war groß bei mir. Gerade diese Orte hätte ich wahnsinnig gerne gesehen. Mein Fixer hat sich mehrfach entschuldigt und wollte es unbedingt wieder gut machen.
Meine Route, bzw. die Orte, die ich während meines Trips besucht habe, könnt ihr in der Karte sehen. Größtenteils war es auch relativ sicher, mal abgesehen vom Grenzgebiet zu Pakistan.
Glücklicherweise hat sich dieser Rückschlag für mich ausgezahlt, da mein Fixer dem Vorschlag zustimmte, den er vor ein paar Wochen noch abgelehnt hat, weil es zu gefährlich sei. Alternatives Reiseziel jetzt: Kandahar. Und schon war ich wieder happy. Dazu muss man sagen, Kandahar ist wirklich ein gefährliches Pflaster. Man kann sicher sein, das man der einzige Ausländer dort ist, wenn man die Stadt besucht und man sollte sich so unauffällig wie möglich verhalten. Wenn man eindeutig als Ausländer zu erkennen ist, sollte man sich nicht frei in den Straßen bewegen. Obwohl ich gerne auch die Provinz Helmand besucht hätte, war dies leider nicht möglich.
Weitere Stationen waren Mazar-e-Sharif, Panjshir Valley, Istalif, Kholm, Kabul, Jalalabad und Torkham.
Das “Highlight” meiner Reise sollte aber zum Schluß kommen. Im Prinzip hat sich die Kommunikation mit meinem Fixer die letzten Wochen auch einzig und allein nur darum gedreht, wie man das organisieren könnte. Mein Plan: Ich wollte den Khyber Pass überqueren und nach Peshawar in Pakistan.
Völlig bescheuerte Idee, wenn man sich den zugehörigen wikivoyage Eintrag anschaut. Da dies ein ganz besonders prägendes Erlebnis war, habe ich dem einen gesonderten Beitrag gewidmet: HOW I CROSSED THE KHYBER PASS
Ich habe mich bewusst dazu entschieden ohne bewaffneten Begleitschutz zu reisen, obwohl das natürlich auch möglich ist. In Afghanistan ist es aber ratsam so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu ziehen. Also schön “low profile” und immer den Ball flach halten.
Unterwegs
Die Turkish Airlines Maschine landete pünktlich um 6:40 auf dem Hamid Karzai International Airport in Kabul. Das Wetter war hervorragend und ich, wie immer, ziemlich durch vom Flug. Dieses Mal jedoch nicht wegen übermäßiger Inanspruchnahme des cineastischen Entertainmentangebots an Bord. Grund war vielmehr ein kleines Kind zwei Sitzreihen vor mir, welches sich spontan auf dem Flug dazu entschieden hat, Zähne zu bekommen – herzlichen Glückwunsch. Zahnfee is a bitch!
Gerade auf Nachtflügen sind solche Situationen immer besonders interessant – alle sind wahnsinnig genervt, aber niemand beschwert sich. Für jemanden wie mich, der selbst keine Kinder hat, bietet sich dadurch die seltene Möglichkeit für ein paar Stunden in den Genuß zu kommen, wie es sich anfühlt eigene Kinder zu haben.
Die zahnende Brut, und damit einhergehender Schlafmangel, konnte mir die Vorfreude jedoch nicht vermießen und ich ging voller Vorfreude Richtung Immigration Counter. In einem hölzernen Verschlag saß der hiesige Beamte mit einer 90er Jahre Webcam, die mich ablichtete – und Windows 98 sei Dank, erhielt ich meinen Stempel im Pass. Willkommen in Kabul!
Mutigen Schrittes verließ ich das Flughafengebäude, in Erwartung mein Fixer steht mit einem kleinen Namensschild da, um mich in Empfang zu nehmen (zumindest hatte er mir das so angekündigt). Allerdings war weit und breit niemand zu sehen und ich war etwas verunsichert. Ich hatte immer ein wenig die Situation im Hinterkopf, die ich erlebte, als ich damals in Mogadishu gelandet bin, und mich sogar noch vor dem Immigration Officer, ein Kontaktmann meines lokalen Fixers (quasi fast noch auf dem Rollfeld) angesprochen und mir geholfen hat.
Aber jetzt…niemand da. Es hat einen Moment gedauert, bis ich begriffen habe, dass das Gelände aus Sicherheitsgründen für den Publikumsverkehr gesperrt war und ich Richtung Flughafenausgang gehen musste. Vor dem massiv gesicherten Toren standen dann tatsächlich mehrere Menschen, um Angehörige abzuholen und Gott sei Dank auch mein lokaler Fixer mit unserem Fahrer.