Torkham Border Crossing
How I crossed the Khyber Pass
Wie ich es geschafft habe den legendären Khyber Pass zu überqueren.
2018
Dec
Auf dem Landweg von Afghanistan nach Pakistan
Den legendären Khyber Pass zu überqueren war von Anfang an erklärtes Ziel meiner Reise und sollte das Highlight werden, bevor ich dann weitere 9 Tage in Pakistan verbringen würde.
Es ist allgemein bekannt, dass es für Ausländer verboten ist, diesen Grenzübergang zu nutzen. Man liest in diversen Foren immer mal wieder Beiträge, wo es heißt: “ich habe gehört, dass es jemand geschafft hat, die Grenze zu überqueren.” Andere, vorallem pakistanische Menschen, posten Dinge wie: “Denkt nicht mal dran, es zu versuchen! Es ist zu gefährlich und die Border Police wird euch zurückschicken.” All das waren aber keine “first hand” Erfahrungsberichte, sondern immer nur “ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der dies und das gesagt hat.” Für mich also wenig zufriedenstellend.
Das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan – besser bekannt als “FATA” (Federally Administered Tribal Areas) ist ein Eldorado für Schmuggler, was einen Besuch nicht unbedingt einfacher macht. Der Basar von Landi Kotal ist dafür bekannt, dass man dort alles erwerben kann – von Winkekatze bis hin zu vollautomatischen Waffen. Die Gegend ist Rückzugsgebiet von al-Qaida, Taliban und auch IS. Ausschließlich Paschtunen leben dort. Wirtschaftlich sieht es dort sehr finster aus, weshalb sich auch ein Großteil derer die dort wohnen, “alternative Einnahmequellen” erschließen. Das Hauptgeschäft ist, wie gesagt, meist das Schmuggeln von Gütern jeder Art…Drogen, Waffen und und und. Insbesondere Entführungen, in Kombination mit Lösegeldforderungen, haben sich in den vergangenen Jahren als lukrative Einnahmequelle erwiesen – zumindest was Ausländer angeht.
All das war mir bewusst, bevor ich überhaupt in Erwägung gezogen habe, mich dorthin zu begeben. Wohlwissend das ein solches Vorhaben nicht von heute auf morgen geplant werden kann, habe ich ca. 80% meiner Reiseplanung für Afghanistan und Pakistan nur diesem speziellen Vorhaben gewidmet.
Bevor ich meine Geschichte erzähle, möchte ich unbedingt darauf hinweisen, dass ich niemandem empfehlen würde diese Route zu nehmen. Insbesondere nicht alleine, so wie ich es getan habe. Mein Bericht ist also nicht als Anleitung zu verstehen, sondern vielmehr als eine Art Warnung.
Es war klar, dass ich nicht einfach da aufschlagen kann und sag: “Hier bin ich. Ich mach rüber.” Ich musste zumindest auf afghanischer Seite alles so arrangieren, das ich das Land sicher und vor allem offiziell verlassen kann. Ich habe von Beginn an mit offenen Karten gespielt und mir war bewusst, dass die Border Police das nicht aus reiner Menschenliebe tut. (Details hierzu werde ich nicht publik machen)
Mein pakistanischer Guide wusste natürlich auch, dass ich auf dem Landweg nach Pakistan kommen wollte. Er hat sich selber auch gekümmert und schlau gemacht, wie der aktuelle Stand ist und mir immer wieder geschrieben, das es nicht möglich ist und die pakistanischen Grenzbeamten mich wieder zurückschicken werden. Außerdem kann sich die Situation täglich ändern und die komplette Grenze dicht gemacht werden für alle. Das war mir natürlich auch bewusst, da ich vorab umfangreich recherchiert habe. Aus diesem Grund habe ich mir zur Sicherheit einen Flug von Kabul nach Islamabad gebucht – für den Fall, dass es Probleme an der Grenze gibt.
Zudem brauchte ich für mein pakistanisches Visa ja auch die Info, wie und wo ich in das Land komme (Nachweis/Flugbestätigung etc.) Wenn ich bei der Botschaft gesagt hätte, ich komme über Torkham, hätte ich kein Visum bekommen.
Ein großer Vorteil war natürlich auch, dass ich ein „single entry Visa“ für Afghanistan hatte. Da ich also einen exit stamp im Pass hatte, konnten mich die Pakistanis nicht wieder zurück schicken. Auch das habe ich bewusst so arrangiert.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der mir allerdings erst so richtig bewusst wurde, als wir am Morgen von Kabul nach Jalalabad fuhren war:
Was, wenn es tatsächlich klappt mit dem Grenzübertritt? Mein “Backup-Alibi-Flug” von Kabul nach Islamabad ist gebucht. Was passiert, wenn ich am Tag des Fluges nicht zum Check-In erscheine? Es ist ja nicht so, dass ich kurzentschlossen einen Flug von Paris nach Berlin canceln würde – das interessiert niemanden. ABER: ein Typ aus Deutschland ist in Afghanistan, will per Flug weiter nach Pakistan reisen und ist am Tag des Abflugs nicht zum Check-In erschienen. Offiziell ist nicht bekannt, wo er sich aufhält. Das könnte durchaus Probleme verursachen, dachte ich mir. Zum Glück war ich aber offensichtlich so unwichtig für offizielle Stellen, das es diesbezüglich keinerlei Probleme gab.
Ein paar Tage bevor ich Richtung Grenze gestartet bin, hat mein Guide auf pakistanischer Seite mir gesagt, dass er es geschafft hat einen Pashto Driver zu organisieren, der mich abholen kann. Das waren natürlich super Neuigkeiten für mich, da ich wirklich ungern ein Taxi genommen hätte von Torkham. Einfach aus dem Grund, weil man nicht weiß zu wem man da ins Auto steigt und wenn man alleine unterwegs ist, ist das nochmal ne ganz andere Sache. Zumal mir vorab auch gesagt wurde, das ein Teil der Leute an der Grenze (Taxifahrer, Polizei etc.) mit diversen Leuten zusammen arbeiten, denen nicht zu trauen ist.
All das waren Geschichten, die ich – soweit es möglich war – versuchte zu verdrängen. Mein afghanischer Guide hatte auch Kontakt zu einem Taxifahrer, der beidseitig der Grenze agiert. Mit ihm wäre das ganze Unterfangen eine optimale Lösung gewesen, allerdings hat er abgesagt, mich zu fahren, weil er befürchtete seine Lizenz zu verlieren, wenn er einen Ausländer fährt, die Polizei in anhält und fragt, wieso er das tut, wo er doch weiß, dass es illegal ist. Das konnte ich total verstehen. An seiner Stelle wäre ich das Risiko auch nicht eingegangen.
Da ich jedoch die Zusage meines pakistanischen Guides hatte, das mich ein Fahrer direkt am Grenzübergang abholt, war das Thema für mich erledigt.
Khyber Rifles Backstage
Auf afghanischer Seite lief alles genau nach Plan. Ich bekam den Stempel in meinen Pass und die Unkompliziertheit erschien mir schon fast ein wenig unheimlich. Dann folgte das nächste Level. Auf pakistanischer Seite war natürlich bis auf meinen Fahrer, der mich abholen sollte, gar nix organisiert. Ungefähr 10 m nach dem letzten afghanischen Grenzbeamten stand ich nun also der pakistanischen Grenzpolizei gegenüber, die mich anschauten als würde ich von einem anderen Stern kommen. 80l Rucksack auf dem Rücken, Daypack über der rechten Schulter und meinen War Rug aus Mazar-e-Sharif unter dem linken Arm. Meinen Pass hatte ich natürlich bereits geöffnet in der Hand, um schnell durchzukommen. Das half allerdings nicht und ich wurde am Weitergehen gehindert.
Da die Beamten mit der Situation scheinbar überfordert waren, wurde der Station Commander herbeigerufen und ich hinter eine große Mauer, wo ein ca. 3×5 m großer Zwischenbereich war, geführt. Dort stand ein Stuhl, auf dem ich Platz nehmen sollte. Umringt von 6 Grenzbeamten in dem Freiluftkäfig wurde ich etwas nervös. Mein Pass wurde von jedem der anwesenden Personen Seite für Seite abfotografiert, was mir aber relativ normal erschien, da die Jungs dort sowas nicht so oft zu Gesicht bekommen. Alle waren auch sehr freundlich. Wenn man aber auf einem Stuhl im afghanisch/pakistanischen Grenzgebiet in einem 15m² Betonverschlag sitzt, umringt von 6 uniformierten und bewaffneten Leuten, fängt man automatisch an ein wenig nachzudenken. Es war teilweise aber auch ganz witzig, als mir einer der Beamten die Frage stellte: “You are a muslim, right?”, und auf meinen War Rug deutete, den ich noch immer fest unterm Arm hielt. Als ich verneinte herrschte allgemeine Verwirrung und ich konnte in den Gesichtern sehen, wie die Fragezeichen in den Köpfen immer größer wurden.
Offensichtlich ging mein Souvenir als Gebetsteppich durch, was mir in dem Moment wohl einen kleinen Vorteil verschaffte. Als dann der Commander endlich da war wurde ich durch ein großes Stahltor in einen Innenhof geführt – das Headquarter der berüchtigten Khyber Rifles, einer paramilitärischen Einheit, die für die Grenzsicherung zuständig ist. Am Hauptgebäude war das bekannte Logo mit den gekreuzten Schwertern und dem Tor. Eine Mischung aus “Wie geil ist das denn bitte?” und “oh oh” machte sich in mir breit. Ich wusste das die Khyber Rifles Forces fast ausschließlich aus Stammesmitgliedern bestehen, die im Grenzgebiet ansässig sind und deren Ruf dementsprechend ist. Vor dem Gebäude waren zwei kleine Tische und vier Stühle platziert. Ich wurde auf einen Tee eingeladen, wir unterhielten uns nett…alles war sehr relaxed. Ich wurde befragt, was meine Absichten in Pakistan seien, wo ich übernachten würde, wer mein Guide ist, wo ich überall hinreisen würde und wer mein Fahrer ist, der mich abholen wird. Daraufhin musste ich sämtliche Kontaktdaten rausrücken und sie telefonierten mit meinen Fahrer. Der Station Commander sagte mir dann, dass sich mein Fahrer etwas verspäten würde und sie ihm gesagt haben, er solle nicht zur Grenze kommen. Man würde mich bis nach Peshawar fahren, mit bewaffnetem Begleitschutz, und mich ihm dann dort übergeben.
In dem Moment erschien mir das als ein Service, der nicht besser hätte sein können. Kurz darauf rief der Commander auch noch einen seiner Freunde an, der schon länger in Deutschland lebt und reichte mir sein Telefon. Da sitz ich also im Khyber Rifles Headquarter, mit Tee in der linken, Telefon in der rechten Hand und spreche deutsch mit dem Kumpel vom Commander. Das werde ich so schnell auch nicht vergessen.
Dort saß ich ungefähr 1,5h Stunden, bevor dann jemand völlig anderes kam und sagte, ich solle jetzt zum Immigration Office mitkommen. Der Beamte dort war sichtlich “not amused” mich da zu sehen und stellte mir ebenfalls viele Fragen. Am Ende stempelte er meinen Pass ab und sagte: “Ok, you better go now.”
Plötzlich waren da zwei Khyber Rifles Leute und deren Vorgesetzter, die mich durch die Grenze begleiteten. Schnell stellte sich heraus, das keiner von ihnen englisch spricht – nicht gut, dachte ich.
Letzter Akt der Grenzüberquerung war der Besuch eines Offiziellen hinter einer Glasscheibe. Meine Begleiter drängelten sich nach vorne, durch die regulären afghanischen und pakistanischen Grenzgänger, was mir die bösen Blicke derer, die schon lange in der Schlange standen, entgegen warf. Mir selbst war es total unangenehm, in einer solchen Situation und Gegend, so aufzufallen. Mir waren aber die Hände gebunden. Als ich mit dem Mann hinter der Glasscheibe redete, gab es wieder einen kleinen Lichtblick für mich, was den sicheren Verlauf meiner weiteren Reise angeht. Er rief – dieses Mal vor meinen Augen – meinen Fahrer an und erklärte ihm den Stand der Dinge. Danach sagte er mir: “You don’t have to worry Sir, we provide you armed escort for security reasons. This area is pretty dangerous for foreigners, but with the escort team you can be sure you’re safe.” Er gab mir noch seine Nummer, ich gab ihm meine und fühlte mich sicher. Zudem unterschrieb der Verantwortliche meines 3-er Escort Teams noch ein Dokument, in dem stand das sie mir bis Peshawar Geleitschutz gewähren und mich dort sicher abliefern würden.
Kurz darauf betrat ich offiziell pakistanischen Boden und konnte es noch immer nicht fassen, das ich es tatsächlich geschafft habe – fast, wie sich kurz darauf herausstellen sollte.
Khyber Pass und Landi Kotal
Ich stieg in ein Polizeifahrzeug ein und wir starteten Richtung Khyber Pass. Es wurde viel kommuniziert während der Fahrt. Aufgrund der Sprachbarriere war ich jedoch außen vor und Hände und Füße mussten herhalten. Ich glänzte zeitweise mit ein paar meiner Pashto Phrases und konnte damit ganz gut punkten. Ehrlicherweise war die Fahrt bis zu einem gewissen Punkt ziemlich nett. Nach ungefähr 10 min. fing der Boss der drei an, sich einen Joint zu bauen, was wirklich nicht ungewöhnlich ist in dieser Gegend. Aber sich während des Dienstes ‘n Ofen zu wickeln ist schon nicht so einerlei.
Nach ca. 20 min. kamen wir in Landi Kotal an. Zu meinem Erstaunen fuhren wir nicht auf dem Torkham Highway weiter, sondern bogen links ab und fuhren direkt durchs Zentrum. Der Landi Kotal Bazar ist bekannt dafür, das man dort alles kaufen kann – von kleinen Handfeuerwaffen über Handgranaten, bis hin zu Panzerfaust und AK-47. Naturgemäß eine Gegend, wo Ausländer nur ungern gesehen werden. Vor meiner Reise habe ich mich damit beschäftigt, ob es nicht irgendwie möglich ist, dass wenn ich in Peshawar bin eventuell jemanden finde, der mich nach Landi Kotal bringt und ich mir das mal ansehen könnte. Nun war ich also da, wo ich sowieso schon immer hin wollte. Trotz der augenscheinlichen “Win Win Situation” überwog bei mir doch eher die Ungewissheit.
Wir fuhren am Anwesen von Haji Ayub Afridi vorbei, den ehemals größten Heroinhändler Pakistans. Kurz nachdem wir Landi Kotal verlassen haben, fuhren wir plötzlich links ran und stoppten vor einem Haus, das von einer großen Steinmauer umgeben war. Meine Begleiter stiegen aus und sicherten die Umgebung. Ich saß im Fahrzeug und guckte wie die Sau ins Uhrwerk. Kurz darauf wurde ich gebeten auszusteigen und wurde samt meinem Gepäck gebeten, mich doch durch den Innenhof in ein kleines Gebäude zu begeben. Plötzlich waren zwei andere – augenscheinlich auch Khyber Rifles Leute – um mich herum, von denen einer zum Glück ganz gut englisch sprach. Ich fragte immer wieder was jetzt passieren würde und wieso wir nicht, wie vereinbart weiterfahren würden. Er gab mir zu verstehen, das die Leute zu denen ich gleich gehen würde, meine neue Security Einheit wären und mich von jetzt an nach Peshawar begleiten würden. Die andere Mannschaft, die für mich bei der Immigration unterschrieben hat, war plötzlich verschwunden und ich wurde in ein kleines Nebengebäude geführt.
Ich sah zwei Männer die gerade beteten, was sowieso nicht ungewöhnlich ist dort und außerdem war es gerade kurz nach 17:00 Uhr, also Zeit für das wichtigste Gebet des Tages. Dennoch hatte ich das Gefühl, das irgendwas faul ist an der ganzen Sache und tausende von Gedanken gingen mir durch den Kopf.
Ich wurde gebeten Platz zu nehmen und mir wurde ein Tee angeboten, was ich aber dankend ablehnte, wohlwissend dass das nicht den üblichen Gepflogenheiten entspricht, wenn man eine Einladung zum Tee ablehnt. Aber um ehrlich zu sein hatte ich plötzlich wahnsinnig Angst, da ich mit 4 schwerbewaffneten Leuten in einer behelfsmäßigen Behausung in Landi Kotal saß, es dunkel wurde, ich keinen Handyempfang hatte und mir meine Rechercheergebnisse zu Vorfällen in Sachen Khyber Pass im Kopf rumschwirrten.
Ich fragte immer wieder nach, wann wir denn endlich nach Peshawar fahren würden. Mir wurde gesagt, wir warten auf einen anderen Fahrer der noch 40 min. braucht, um zu kommen. Einer der Männer fragte mich, ob ich meinen Pass dabei hätte und wo er sich befindet. Da war ich mir sicher: hier stimmt was nicht. Wieso fragt mich der Typ nach meinen Pass? Es gab keinen Grund, weil ich ja bereits in Pakistan war. Kurz darauf kam ein weiterer Mann in den Raum und stellte mir ein Getränk hin. “Please, drink! It’s like Red Bull.”, sagte er.
Auch irgendwie komisch, dachte ich. Wieso bringt man mir was zu trinken, obwohl ich vorher schon abgelehnt habe? Ich habe aber nicht weiter drüber nachgedacht und fragte erneut, wann wir fahren würden. Es war bereits dunkel draußen und ich hatte seit über 3 Stunden keinen Kontakt zu meinem Guide in Pakistan und meinem Fahrer. Die waren noch immer in dem Glauben, ich wäre im Auto nach Peshawar unterwegs. Erneut wurde mir gesagt, es würde noch ca. 40 min. dauern, obwohl bestimmt schon 15 min. vergangen waren, seit dem ich zuletzt gefragt hatte.
So richtig Gesprächsstoff gab es außer meinen ständigen Fragen nicht. Mehr oder weniger aus Langeweile nahm ich einen kleinen Schluck von dem Red Bull artigen Getränk, um nicht unhöflich zu erscheinen. Fast zeitgleich entschied ich mich dazu, draußen eine Zigarette zu rauchen, damit ich mich dieser unangenehmen Situation irgendwie entziehen konnte.
Alles was ab jetzt geschah waren Entscheidungen von mir, die innerhalb von Sekunden getroffen wurden.
Ich beugte mich schräg rüber, um meine Zigaretten aus meinem Rucksack zu holen. Im gleichen Moment merkte ich, das mir schwindelig wurde und ich kurz davor war ohnmächtig zu werden. Ein Gefühl welches ich – aufgrund meiner, sagen wir mal “schillernden Vergangenheit” – sehr gut kannte. Wer auch nur einmal bewusst “GHB” oder etwas ähnliches zu sich genommen hat, weiß von was ich rede. Nimmt man sowas unbewusst zu sich, denkt man einfach nur, man ist plötzlich müde und will einfach nur schnell schlafen. Man kann eigentlich nichts dagegen tun, es passiert einfach.
Plötzlich gingen sämtliche Alarmglocken bei mir an. Ich wusste jetzt ganz sicher, das man mich hier abziehen will oder was auch immer. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben mit einer Situation konfrontiert, die ich nie wieder haben möchte. Man kann sich das nur schwer vorstellen oder beschreiben. In dem Moment als mir bewusst wurde, was gerade geschieht, legte sich ein Schalter bei mir um und ich ging in die Offensive. Das einzig vernünftige was ich hätte machen können in dieser Situation.
Ich nahm meine Zigaretten und taumelte ein wenig Richtung Tür. Der Mann der englisch sprach, sagte zu mir: “You can smoke inside. Please stay here.”
Ich bestand darauf draußen rauchen zu wollen, merkte aber das wenn ich jetzt rauche und wieder reinkomme und mich hinsetzen würde, ich nicht wieder aufstehen kann, falls ich nicht schon vorher draußen abschmieren würde.
Geistesgegenwärtig schnappte ich mit letzter Kraft meine beiden Rucksäcke und den Teppich. Alle Anwesenden waren offensichtlich sehr irritiert. Zum ersten Mal in meinen Leben schrie ich fremde Leute an und sagte: “No, we go now! I don’t stay here any longer.” Ich hatte einfach nichts zu verlieren in dem Moment.
Im Innenhof stand ein kleiner weißer Wagen, den ich schon beim Reinkommen gesehen habe. Ich stellte mich daneben und suggerierte den Männern, das wir jetzt damit nach Peshawar fahren werden. Die Aufregung und Verwirrtheit aller Anwesenden, blieb mir trotz meines angeschlagenen Zustands nicht verborgen. Offensichtlich haben alle mit einem zeitnahen Blackout gerechnet. Jetzt musste wohl “Plan B” herhalten, dachte ich mir. Egal, alles erstmal besser als hier in der ollen Lehmhütte festzugehen. Es ging dann auch relativ schnell und ich war auf dem Rücksitz – dieses Mal aber mit all meinem Gepäck, um – auch wenn das komisch klingt, aber solche Optionen muss man haben – im Notfall mit Sack und Pack sofort aussteigen zu können. Im worst case auch ohne Gepäck. Meine Gedanken kreisten bereits um den “Plan B”, der jetzt wohl greifen würde. Ich dachte man würde mich jetzt wohl zu Leuten bringen, die nicht versuchen einen mit Getränken auszuschalten, sondern eventuell mit anderen Mitteln.
Was mir aber zu dem Zeitpunkt schon relativ klar war – und damit versuchte ich mich selbst ein wenig runterzufahren – das sind weder Taliban, noch IS Leute. Die Gegend gilt allgemeinhin als Rückzugsgebiet für extremistische Gruppierungen. Wäre dem so gewesen, hätte meine Ansage, das wir jetzt sofort fahren müssen, mit einer AK-47 Richtung Kopf geendet. Wahrscheinlich noch mit den Worten: “Nein, das machen wir jetzt nicht.” Das war tatsächlich meine größte Angst während dieser Zeit.
Das Tor des kleinen Anwesens wurde geöffnet und wir fuhren auf die Straße. Der Wagen bog nach rechts ab, also in die Richtung aus der ich vorher gekommen bin. Mein Modus war noch immer auf “Angriff ist die beste Verteidigung” gestellt. Ich sagte also sofort, dass dies die falsche Richtung sei, wenn wir nach Peshawar wollen. Der Beifahrer reagierte ziemlich angepisst und sagte, ich solle mich beruhigen, wir würden nur jemanden abholen. Landi Kotal Fahrgemeinschaft…er sollte Recht behalten. Nur 50 m. weiter stieg ein bewaffneter Mann zu mir auf den Rücksitz ein, dann wendeten wir und fuhren, wie ich fand, in die richtige Richtung. Wenn man sich vorab ein wenig mit den lokalen Straßenführungen vertraut macht, ist das nicht schwer – es gibt nur Ost oder West. Sobald man aber Richtung Norden oder Süden fährt, sollte man sich Gedanken machen. Mit meinem Telefon in der Hand, immer wieder damit beschäftigt irgendwie Empfang zu bekommen, hing ich auf dem Rücksitz in den Seilen. Auch ohne Empfang habe ich meinem Guide in Pakistan die Nachricht: “Something is wrong.” geschickt, mit der Hoffnung, er würde sie bekommen, sobald ich Empfang habe. Mehr war in meinem Zustand nicht möglich.
Wir fuhren tatsächlich in die richtige Richtung. Das wusste ich, als einer meiner Begleiter sagte: “Look to the right, there is the Ali Masjid Fort”. Es war stockdunkel und ich konnte natürlich nichts sehen. Allerdings wusste ich, dass sich dieses Fort auf dem Weg nach Peshawar befindet, deshalb war ich erleichtert, weil Peshawar nicht weit entfernt war.
Etwa 15 min. später erreichten wir den Jamrud Checkpoint in Peshawar. Dort kontrolliert die Polizei, ob man die Berechtigung hat, Richtung Khyber Pass zu fahren und teilweise werden auch Fahrzeuge aus der anderen Richtung, also der Richtung aus der ich kam, kontrolliert. Wir wurden nicht kontrolliert und fuhren sehr langsam durch die große Ansammlung von Polizisten. Selbst zu diesem Zeitpunkt, als ich ja nun schon fast am Ziel war, überlegte ich an dem Checkpoint aus dem Fahrzeug zu steigen und zur Polizei zu gehen. Was aber sollte ich denen sagen? Ich war ja unerlaubt in der Gegend und mir hätte da eine saftige Strafe gedroht. Wenn ich denen die Geschichte erzählt hätte, würden sie mir glauben? Wahrscheinlich nicht. Deshalb entschied ich mich, im Wagen zu bleiben. Wir passierten den Checkpoint und etwa 10 min. später hielten wir an einer dunklen Ecke in Peshawar und ich stieg sofort aus, um frische Luft zu atmen. Es dauerte nochmal 10 min. bis dann endlich mein Fahrer auftauchte. Mein pakistanischer Guide hatte mir einen Tag zuvor das Nummernschild des Fahrers genannt, damit ich sicher sein konnte, ich würde ins richtige Fahrzeug einsteigen. Ich konnte gar nicht schnell genug wegkommen und war froh, es endlich geschafft zu haben.
Was auch sehr merkwürdig für mich war: meine Begleiter wollten sogar noch Selfies mit mir machen, was ich dann auch gemacht habe. Aber irgendwie erschien mir das alles total komisch.
Ich kann diese ganze Situation nur schwer einschätzen und kann nur vermuten, was mich da glimpflich hat rauskommen lassen. Zum einen ist es, dass die Securityleute, die mich von Torkham in das Haus in Landi Kotal gebracht haben, davon gewusst haben müssen, was die Leute da mit mir vor haben. Sonst hätten sie mich auch bis nach Peshawar fahren können, wofür sie ja unterschrieben haben. Zum anderen ist es so, dass es in der Gegend nicht ungewöhnlich ist, wenn Leute zu Hause abgeholt werden, wenn sie ihren Dienst antreten. Natürlich hab ich keinerlei Beweise für das, was dort geschehen ist und ich habe bewusst vermieden die Leute dort direkt darauf anzusprechen. Sonst hätte ich sicher noch mehr Ärger bekommen, wenn sie gewusst hätten, das ich darüber im Klaren bin, was sie vorhatten und es nicht geklappt hat. Ich nehme an sie haben einfach damit gerechnet, das ich relativ schnell ausgeschaltet sein werde, um dann evtl. meine Sachen zu durchsuchen und vielleicht Geld zu nehmen oder was auch immer. Mich dann an meinen Fahrer in Peshawar zu übergeben, mit der Begründung ich war müde und schlafe sehr fest oder so. Dann wäre ich in seinem Auto irgendwann aufgewacht und die Jungs waren längst über alle Berge. Wie gesagt sind das meine Vermutungen. Mein Glück war, das es sich bei den Leuten sicher nur um “normale Kriminelle” gehandelt hat, die keinen Plan B hatten. Hätte ich nicht so schnell reagiert in dem Haus, wer weiß was dann geschehen wäre.
Es gibt aber auch Erzählungen von anderen Leuten, deren Versuch den Khyber Pass zu überqueren, nicht so gut ausgegangen ist. Fällt man dort den Taliban in die Hände, wird es richtig ungemütlich. Genauso gut gibt es aber – wenn auch sehr selten und nur “von jemanden, der einen kennt, der einen kennt” – Geschichten von Leuten, die sagen, sie wären ohne Probleme durchgekommen.
Wer den Khyber Pass momentan (ich habe den Artikel 2018 geschrieben) überqueren möchte, sollte das nicht alleine tun, sondern mindestens einen Mitreisenden haben. Abgesehen davon, dass es sowieso illegal ist, begibt man sich in große Gefahr, da jeder der dort Lebenden weiß, das man selbst nicht dort sein darf und man ein leichtes Ziel ist. Außerdem sollte man nicht jedem trauen, auch nicht den Offiziellen.