Khorasan and beyond

Über den südlichen Iran nach Nimroz und Helmand, bis Kunar und Nuristan

Ein 3000 km Road Trip durch das islamische Emirat.

2023

Sep

Rating
60
Fotografie
55
Entdeckergeist
100
Militärpräsenz
85
Natur
Location

Taliban 2.0 - Jetzt erst recht!

Fast genau 2 Jahre ist es jetzt her, seit dem die Taliban erneut die Macht in Afghanistan übernommen haben. Das Streben nach internationaler Anerkennung ihres Emirats, eröffnet Reisenden wie mir, bisher ungeahnte Möglichkeiten.

 

Als ich 2018 das erste Mal Afghanistan besuchte, waren weite Teile des Landes für Touristen absolut tabu. Der Besuch von Provinzen wie Helmand, Nimroz, Paktia, Kunar oder Nuristan wären ein reines Selbstmordkommando gewesen – das sage nicht nur ich, das haben mir bei meinem jetzigen Besuch auch sämtliche Taliban bestätigt, mit denen ich darüber gesprochen habe.

 

Trotz neuer Machthaber gibt es dennoch verschiedene Landesteile, die sehr gefährlich sind, wenn man sich als Tourist dorthin begibt. Das sind hauptsächlich die Provinzen, die sich im Grenzgebiet zu Pakistan befinden und somit in unmittelbarer Nachbarschaft zu den ehemaligen Stammesgebieten – die sogenannten „Federally Administered Tribal Areas“, oder kurz FATA. Offiziell wurden diese kürzlich mit in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert. Dort pflegt man einen, sagen wir mal, sehr volkstümlichen Lebensstil. Waffen sind an der Tagesordnung und Konflikte werden hauptsächlich mit eben diesen ausgefochten. Städte wie Dara Adamkhel sind berühmt für ihre Waffenschmieden – dort bekommt man alles was das Herz begehrt: M16, AK-47, aber auch kleinkalibriges, wenn man knapp bei Kasse ist. Die hiesigen Büchsenmacher bauen alles originalgetreu nach und bringen es dann auf dem lokalen Waffenmarkt für wenige 100$ unters Volk.

 

Das wollte ich mir natürlich anschauen und plante meinen Trip so, dass ich auf dem Landweg ins pakistanische Stammesgebiet einreisen würde. Von pakistanischer Seite aus ist das nämlich nicht ohne weiteres möglich. Klar, für den Besuch der Grenzprovinz ist natürlich auch eine Genehmigung von afghanischer Seite notwendig. Aber wie schon gesagt, seit dem die Taliban an der Macht sind, werden sie nicht müde immer wieder zu betonen, dass das ganze Land sicher sei und man ohne Probleme überall hinreisen kann. Insbesondere Touristen sind herzlich willkommen – nicht zuletzt wegen der dringend benötigten finanziellen Mittel, die dadurch ins Land gespült werden. Deshalb heißt es offiziell: So lange du uns sagst was du machen möchtest und welche Gegenden du besuchen willst, haben wir kein Problem damit, auch Ungläubige willkommen zu heißen. Da ist man flexibel geworden – Lieber arm dran als Kopf ab. Wer ausländische Touristen ins Land lässt, kann doch kein schlechter Mensch sein. Zu dieser taktischen Charm Offensive später etwas mehr.

 

Eine solche Gelegenheit lässt man sich natürlich nicht entgehen. Wenn der Talib sagt: „Komm vorbei! Alles gut!“, bin ich der Erste, der die Hühner sattelt. Was ich auf meiner Reise erlebt habe und welche Überraschungen beim Grenzübertritt nach Pakistan auf mich warten sollten, erzähle ich in den folgenden Zeilen.

Die Planung

Um ehrlich zu sein hatte ich bis Sommer 2021 keine Ambitionen, ein zweites Mal nach Afghanistan zu reisen. Wieso auch, wenn mehr als 60% des Landes sowieso nicht bereist werden dürfen. Als dann jedoch die Taliban die Macht übernommen haben, war mir relativ schnell klar, dass sich da – wenn auch nicht sofort, aber in naher Zukunft – ein paar interessante Möglichkeiten ergeben könnten. Ich habe damals mit Freunden über meine erste Reise nach Afghanistan geredet und gesagt, „Wenn man jetzt erneut hinreisen würde, gäbe es keine Ausreden mehr seitens der Regierung, dass bestimmte Gebiete zu gefährlich seien, weil die Taliban dort die Kontrolle haben. Jetzt wird das ganze Land von ihnen kontrolliert. Das müsste ja eigentlich bedeuten, dass man nirgendwo etwas zu befürchten hat.“ Meine These wurde mit einem müden Lächeln und teils besorgter Mine aufgenommen. Ich sollte Recht behalten. Wenn internationale Geldgeber einem den Geldhahn zudrehen, Konten eingefroren werden, finanzielle Unterstützung von NGOs ausbleibt und überhaupt der Rest der Welt so gar nicht mit einem einverstanden ist, hat man nicht nur ein, sondern gleich mehrere Probleme. Viele Afghanen sind auf Hilfsorganisationen angewiesen. Wenn die jetzt den Rückzug antreten und auch deren Gelder ausbleiben droht großes Unheil. Jahrelang im Untergrund gegen die Besatzer gekämpft…endlich an der Macht…da will man ja nicht gleich das eigene Volk gegen sich aufbringen. Noch bevor da jemand das Wort „Menschenrechtsverletzungen“ ausgesprochen hat heißt es dann wieder: „Zurück in die Höhle!“. Problematisch ist auch, wenn man sich gegenüber der eigenen Moral und Religion so verpflichtet fühlt, dass man auf den weltweiten Exportschlager verzichtet – Opium. Wobei das nur teilweise korrekt ist. Klar, viele Felder wurden öffentlichkeitswirksam vernichtet und abgebrannt, aber wenn’s um Geld geht ist in Afghanistan nun mal nicht die Sparkasse zuständig, sondern moralisch flexible Lösungen sind gefragt. Konnte man 2018 noch Mohnfelder im Vorbeifahren von der Straße aus sehen, ist dies jetzt nicht mehr der Fall. Die noch existierenden Felder sind gut versteckt und werden ausnahmslos von „systemtreuen“ Bauern betrieben. Auch wenn der weltweite Opiumhandel eingebrochen ist, aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen: im Iran spürt man davon nicht all zu viel. Doch dazu später mehr.

Zurück zur eigentlichen Planung. Mein Fahrer, der mich 2018 durchs Land kutschierte, meldete sich. Er erzählte mir, das unser gemeinsamer Freund, mein Fixer von damals, aus Afghanistan fliehen musste, nachdem die Taliban an die Macht kamen. Dann fragte er mich, ob ich nicht mal wieder vorbeikommen möchte. Etwas skeptisch, aber mit meiner bereits erwähnten These was die aktuelle Sicherheitslage im Land angeht im Hinterkopf, hakte ich nach was denn so alles möglich ist. Kurze Antwort: „Everything is possible!“ Alles klar, jetzt hat er mich.

 

Ich stürzte mich sofort in die Vorbereitungen und kramte als erstes meine Bucketlist von 2018 heraus, um mir nochmal ins Gedächtnis zu rufen, was damals alles nicht ging. Ich fügte ein paar weitere Dinge hinzu und schickte die Liste an meinen Freund vor Ort, um mir eine Bestätigung einzuholen, ob ich denn alles von der Liste sehen kann. Da geht es nicht darum, ob er Lust hat, mit mir dorthin zu fahren – vielmehr ist es so, das meine Wishlist beim Ministry of Information & Culture in Kabul vorgelegt wird und wenn es von dort ein „Go“ gibt, ist das schon mal die halbe Miete.

 

Als Ergebnis bekommt man dann ein offiziell signiertes und abgestempeltes Dokument mit Namen, Passnummer und den Provinzen, die man besuchen möchte.

Was mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar war: selbst mit diesem, von der höchsten Instanz ausgestellten Dokument, kann man sich innerhalb der Provinzen zwar legal bewegen, aber wenn man tatsächlich bestimmte Sehenswürdigkeiten besuchen möchte, muss man zum zuständigen Ministerium in der jeweiligen Provinz und eine weitere Genehmigung einholen. Will heißen: Wird man während der Durchreise an einem der unzähligen Checkpoints kontrolliert, reicht das Dokument aus Kabul aus. Hält man sich länger vor Ort auf, benötigt man ein weiteres Dokument. Jedes Mal extra zum Ministerium nervt ein bisschen, aber im Großen und Ganzen geht das meist sehr schnell und je nach Gegend bekommt man vom Ministerium bewaffneten Begleitschutz zugeteilt, der offiziell zwar für Sicherheit sorgen soll, aber ich hatte den Eindruck, dass sie nur jemanden von ihren Leuten mit uns schicken wollten, um sicherzustellen, dass ich nix im Schilde führe. In abgelegenen oder von Ausländern wenig besuchten Provinzen wie Helmand, Nimroz, Paktia oder Kunar war ich insbesondere im Ministerium ein absolutes Highlight. Dort war man wahnsinnig stolz, dass sich mal ein Ausländer dorthin verirrt und sie sogar eine ihrer tollen Genehmigungen ausstellen können.

Travel Document

Taliban Permission

Travel Document

Taliban Permission

Ok, Letter of Invitation: check, Genehmigung der Talibanregierung: check. Die wichtigsten Dinge, die man zur Beantragung eines Visums benötigt, hatte ich also schon mal beisammen. Jetzt nur noch zum Konsulat in Berlin und dann kanns fast schon losgehen – sollte man meinen. Dazu gleich etwas mehr.

 

Da ich unbedingt die südlichen Provinzen Nimroz und Helmand besuchen wollte, bevor ich dann über den Peiwar Pass nach Pakistan reise, entschied ich mich über den Iran einzureisen. Allerdings über den südlichen Grenzübergang Milak, der hauptsächlich für Warentransporte aller Art und von Locals genutzt wird.

 

Bevor ich also mein Afghanistan Visum besorge, was mit all den bereits vorhandenen Dokumenten am einfachsten sein sollte, kümmere ich erstmal um Iran und Pakistan. Easy, beide Länder bieten e-Visa an und innerhalb von 3 Wochen hatte ich es vorliegen. Jetzt noch schnell einen Termin über die Website des afghanischen Konsulats machen und dann kanns fast schon losgehen. Hier begann es kompliziert zu werden. Das lausig programmierte Terminvergabetool wollte einfach nicht funktionieren. Trotz mehrfacher Versuche und ein paar Tricks war nix zu machen. An einem bestimmten Punkt spuckte mir die Website, die plötzlich im Debug-Modus war, sogar sämtliche Zugangsdaten zur internen Datenbank, inkl. E-Mail Passwörter des kompletten Konsulats und ein paar weitere interessante Dinge aus. Mist! Was jetzt? Moment mal! Zugangsdaten…Passwörter…?! Ok, das speichern wir mal lieber ab. Wer weiß wozu das noch gut sein kann. Hilft jetzt aber nicht. Anrufen! Von früh bis spät auf sämtlichen Durchwahlen – entweder besetzt, oder niemand ging ran. Auf der Website steht explizit, dass man sein Anliegen nur vortragen kann, wenn man einen Termin hat. Egal, vielleicht wissen die ja gar nicht das ihre Website nicht funktioniert. Wäre doch gut, wenn ich ohne Termin zum Konsulat gehe und mit meinen neu gewonnenen Kenntnissen über Passwörter und Funktionsweise der Website sogar noch helfen kann. Keine gute Idee.

 

Dort angekommen musste ich erstmal Überzeugungsarbeit leisten, um nicht schon draußen vor der Tür abgewiesen zu werden. Man gewährte mir Einlass und ich ging in die erste Etage. Dort war man mit Teetrinken beschäftigt und schien ob meines plötzlichen Erscheinens doch bass erstaunt zu sein. Ich präsentierte mein vollständiges Arsenal an benötigten Dokumenten zur Beantragung eines Visums. In sehr schlechtem Englisch wurde mir erneut die Online Terminvergabe nahegelegt. All meine Erklärungsversuche scheiterten und mir war schnell klar, dass mein Gegenüber einfach mal einen Fick darauf gibt, ob ich sämtliche Zugangsdaten des Konsulats habe. Deshalb habe ich gar nicht erst versucht, diese Karte zu spielen. Es folgte eine Moralpredigt, ob ich denn weiß was gerade in Afghanistan los ist und das all die vielen Leute im unteren Stockwerk hier sind, weil sie aus Afghanistan weg wollen. Man wollte mir also kein Visum ausstellen – mein Einwand, dass auf der Website aber steht, dass genau das hier ohne Probleme möglich sei, wurde ignoriert. Da stand ich nun in all meiner Verzweiflung und blickte dem Konsulatsmitarbeiter hinterher, während er sich wieder dem Tee widmete. Er war auf jeden Fall echt angepisst und ich glaube, wenn ich ihm noch eine weitere Frage gestellt hätte, wäre er total ausgeflippt. Tolle Landesvertretung, die Besucher so behandelt und alles andere als Werbung für ihr Land macht. Aus dem tiefsten Westberlin machte ich mich völlig deprimiert wieder auf den Heimweg in den Osten der Stadt und grübelte über Alternativen. Ich war so verzweifelt, dass ich mir einen Flug nach München buchen wollte, um dort ins Konsulat zu gehen. Tja, was soll ich sagen?! Gleiches Terminvergabe-Tool, welches nicht funktioniert und Anrufe werden auch dort gekonnt ignoriert. Jetzt hatte ich ein echtes Problem.

Was macht man, wenn man über den „Haupteingang“ nicht reinkommt? Richtig! Man versucht es über den „Nebeneingang“. Dieser hieß für mich Dubai. Auch dort gibt es ein Konsulat und da ich sowieso über den Süden Irans einreisen will, bietet sich das ja an. Kurze E-Mail ans afghanische Konsulat in Dubai und nach einem Termin gefragt…Bähm! 2 Stunden später kam die Antwort: „you can get visa same day at Consulate General of AFGHANISTAN in Dubai no need any appointment just visit Consulate.“ Leute! Ihr seid ja wohl mal die aller Geilsten! Tag gerettet. Trip gerettet. Wieso also nicht gleich noch mit der Fähre vom Port Rashid in Sharjah nach Bandar Abbas im Iran? Mal abgesehen davon, dass die Website der iranischen Fährgesellschaft seit geraumer Zeit down war und ich dort keine verlässlichen Zeiten für die Fähre in Erfahrung bringen konnte, wäre die Buchung eines Tickets aufgrund der internationalen Sanktionen sowieso nicht möglich gewesen. In solchen Situationen zahlt es sich aus, jemanden vor Ort zu kennen, der weiß wie man mit solchen Dingen umgeht. Innerhalb eines Tages bekam ich mein Ticket per mail.

Unterwegs

Über Istanbul gings nach Dubai, wo ich pünktlich 3:00 Uhr morgens ankam. Meinen ursprünglichen Plan, direkt vom Flughafen zum Konsulat zu fahren und warten bis es öffnet, damit ich gleich der Erste bin, habe ich schnell wieder verworfen. Völlig übernächtigt, im Dunklen mit 2 Backpacks vorm Konsulat rumlungern könnte problematisch werden. Stattdessen bin ich in ein Hotel und nach nur 3 Stunden Schlaf gings dann tatsächlich zum Konsulat. Dort lief alles problemlos und nach ca. 4 Stunden Wartezeit hatte ich mein Visum.

 

Auf dem Weg ins Hotel bekam ich von meinem Kontakt im Iran jedoch eine schlechte Nachricht. Die Fähre für den kommenden Tag wird nicht ablegen. Grund: Die Wetterbedingungen in der Straße von Hormuz. Häh? Ich schmore hier im eigenen Saft auf dem Rücksitz des Taxis, bin kurz vor der Ohnmacht, weils draußen 45° hat und ein paar Kilometer weiter ist das Wetter so schlecht, dass die Fähre nicht ablegt?! Lange Rede, kurzer Sinn…scheinbar ist in der Straße von Hormuz Wind ein großes Problem. Bevor der Kahn also abschmiert und man als Fischfutter endet, cancelt die iranische Fährgesellschaft „Valfajr“ die Überfahrt lieber – auch sehr kurzfristig.

 

Zu meinem Glück flog aber am nächsten Tag eine Maschine der „Qeshm Air“ von Dubai nach Bandar Abbas. Mein Kontakt im Iran wandelte mir mein Fährticket kurzerhand in ein Flugticket um und mit einer Zuzahlung von nur 50$ war ich für den kommenden Tag gebucht. Wieso das so einfach ging und was die Fährgesellschaft mit der Fluglinie zu tun hat, ist mir schleierhaft. Der Flug verlief ohne besondere Vorkommnisse und nach nur 25 Minuten erreichte ich Bandar Abbas.

Qeshm Air

Dubai Airport

Qeshm Island (Iran)

Trotz einiger Bedenken im Vorfeld, was die Einreise in den Iran betrifft, ging alles sehr schnell an dem kleinen Flughafen von Bandar Abbas. Keine Befragung durch Geheimdienst oder sonstige Institutionen, kein Versuch mir zusätzliches Geld abzuknöpfen wegen fehlender iranischer Krankenversicherung…gar nix. Auf dem Gelände vor dem Flughafen habe ich ein paar Taxifahrer „angekumpelt“ und sie gebeten, meinen Freund auf Qeshm Island anzurufen, die Insel in der Straße von Hormuz auf die ich am gleichen Tag noch übersetzen wollte. Meine Anwesenheit war scheinbar so ungewöhnlich für sie, dass gleich noch mehrere Kollegen herbeigerufen wurden, um Fotos zu machen und mir Fragen zu stellen. Damit diese Situation nicht zu einem Flughafenübergreifendem Event ausartet, musste ich irgendwann Einhalt gebieten. Der ein oder andere wird sich fragen: „Warum sagst du nicht wo du hin willst, setzt dich ins Taxi und los geht’s?“ Die Antwort ist einfach: local money. Im Iran wird nur lokale Währung akzeptiert. Die Bezahlung findet fast ausschließlich digital per Handy statt. Iranische Rial kann man z.B. in Dubai nur auf dem Schwarzmarkt tauschen. Da ich jedoch keine Zeit für solche Experimente hatte, stand ich nun in Bandar Abbas ohne Cash und musste per Taxi zum Hafen, um eine Fähre nach Qeshm Island zu bekommen.

 

Das diese Situation eintreten wird, war natürlich vorher klar, deshalb bot mir mein Freund an, er würde sowohl Taxi als auch Fährticket vorab zahlen. Eine lokale SIM Card am Flughafen zu bekommen war nicht möglich, deshalb musste ich meine neu gewonnenen Taxifahrer Freunde bitten, ihn anzurufen. Nachdem also jeder von ihnen ausreichend Schnappschüsse fürs Familienalbum mit mir gemacht hatte, wurden kurz die Zahlungsmodalitäten festgelegt und nach erfolgtem Geldeingang gings per Taxi zum Hafen. Der nette Taxifahrer half mir noch beim Ticketkauf und kurz darauf saß ich an Bord der Fähre nach Qeshm Island. Die Insel ist 38 Seemeilen (70km) vom Festland entfernt. Die Fähre benötigt ca. 50 Minuten und lässt es ordentlich krachen. Wer nicht seetauglich ist, hat Pech gehabt. Vorbei an den riesigen Öltankern und Frachtschiffen, die wie Hochhäuser an einem vorbeiziehen, gings mit einem Affenzahn durchs hiesige Gewässer.

 

Voller Erwartungen und mit ein bisschen Kotze einer Mitreisenden am Arm legten wir am Hafen von Qeshm an. Mit dem Auto gings weiter nach Dargahan in ein kleines Hotel. Während der Fahrt wurde das Programm für den kommenden Tag besprochen. Da ich nur 2 Tage auf der Insel bleiben wollte, einigten wir uns auf den Chahkooh Canyon und Stars Valley – die beiden „Hauptattraktionen“ der Insel. Es gibt zwar noch einige andere Orte, wie z.B. den Hara Mangrove Forest oder diverse Salz Höhlen, aber das hab ich mir verkniffen. Es ist nicht so, dass diese anderen Orte, die bei Botanikern oder Geologen bestimmt hoch im Kurs stehen, nicht sehenswert sind. Was Naturschauspiele oder ähnliches angeht, ist es in meinem Fall jedoch so: Solange da nicht jemand ist, dem ein drittes Ei wächst, bin ich eher raus. Zudem war Qeshm ohnehin nur eine Zwischenstation und ich war von Kopf bis Fuß schon auf Afghanistan eingestellt.

 

Aber wie bereits erwähnt, wer sagt „erodiertes Gestein und Salzablagerungen sind mein Ding.“ – Just go for it! By the way…das „Stars Valley“ verdankt seinen Namen dem Umstand, dass wenn man von oben auf dieses Areal schaut, es aussieht als wären Sterne vom Himmel herab gefallen und hätten diese Steinformationen geschaffen. Ganz ehrlich?! Nicht mal ansatzweise. „Witterungsbedingte Steinformationen, bedingt durch Erosion Valley“ klingt aber auch nicht so sexy. Egal. Vom Boden aus ist es wirklich schön anzusehen und zudem ein beliebtes Ziel für frisch verheiratete Paare, die dort ihre Fotoshootings machen, weil man dort als Frau den Hijab auch mal ablegen kann, ohne das man gleich verhaftet wird. Ich persönlich würde den „Chahkooh Canyon“ allerdings vorziehen. Das Areal ist zwar kleiner und bietet dadurch weniger Möglichkeiten an Fotomotiven, ist aber interessanter was die Formationen angeht.

Qeshm Island

Chahkooh Canyon

Qeshm Island

Chahkooh Canyon

Qeshm Island

Star Valley

Qeshm Island

Star Valley

Ohne der Inselgeologie zu nahe treten zu wollen, aber das interessanteste oder spannendste, geschah auf meiner Rückfahrt nach Bandar Abbas. Ich saß schon ein paar Minuten auf dem äußersten Sitz der mittleren Sitzreihe, während ein weibliches Crewmitglied herumging und den anderen Mitreisenden etwas auf Farsi sagte. Nach und nach standen alle aus der mittleren und linken Fensterreihe auf und nahmen andere Plätze ein. Da ich persönlich nicht angesprochen wurde war ich der einzige, der noch an seinem ursprünglichen Platz saß. Etwas verwundert, aber dennoch froh ob der neuen Bewegungsfreiheit um mich herum, machte ich es mir wieder gemütlich. Ein Blick über die rechte Sitzreihe aus dem Fenster lies vermuten, dass wohl noch mehr Passagiere an Bord kommen. Komischerweise waren zwischen den Neuankömmlingen eine Menge bewaffneter Polizisten. Hm, was das wohl für ne Reisegruppe sein mag. Unter den strengen Blicken der Polizisten nahmen die neuen Passagiere ihre Sitzplätze ein. Nachdem ich einen Blick auf meine neuen Sitznachbarn geworfen hatte und diese mit Handschellen und Fußfesseln aneinandergekettet waren, war schnell klar, dass die Fähre kurzerhand zum Gefangenentransport umfunktioniert wurde. Jedes Gefangenenpaar bekam einen Polizisten als dritten Sitznachbarn. In meiner Reihe übernahm ich quasi diesen Part. Anstatt mich von meinem Platz zu verscheuchen, stand der Polizist die ganze Fahrt neben mir und bewachte meine beiden Nachbarn. Das muss man den Iranern wirklich lassen – nett und zuvorkommend, auch in schwierigen Situationen. Die Souveränität, die er noch vor dem Ablegen ausstrahlte, war jedoch schnell dahin, als ihn die Wellen mehrere Male fast von den Beinen geholt hätten.

Iran (Mainland) | Bandar Abbas - Bam - Zahedan - Zabol

Zurück im Hafen von Bandar Abbas erwartete mich ein Freund, der mich in den kommenden 3 Tagen bis zur afghanischen Grenze nach Zabol bringen sollte. Zwar äußerte er vorher Bedenken, da er diese Route bisher selbst nie gefahren ist, aber nachdem ich ihm sagte, für mich sei es auch das erste Mal und gemeinsam kriegen wir das schon hin, ging das für ihn in Ordnung. Mangelnde Ortskenntnisse waren, wie sich herausstellte, überhaupt kein Problem, da es sowieso immer nur eine einzige Straße gab, die uns zum Ziel führen sollte.

 

Ein weit größeres Problem ist in den südlichen, grenznahen Provinzen die Tatsache, dass man als nicht Ortsansässiger nicht tanken darf. Um seinen Hobel neu besaften zu dürfen, muss man an den Tankstellen eine entsprechende Tankkarte vorlegen. Ist diese jedoch nicht aus, z.B. Hormozgan, sondern aus Kerman, bleiben einem nur zwei Möglichkeiten: laufen oder das etwa 4-fache des normalen Preises zu zahlen. Selbst bei einem Spottpreis von 70 Cent pro Liter ist das Vierfache einfach mal nicht tragbar. Diese Art von lokaler Sanktion führt natürlich dazu, dass man an Tankstellen ewig anstehen und warten muss. In unserem Fall ca. 1.5 Stunden. Auch hier gibt es den ein oder anderen Trick, das zu umgehen, z.B. wenn man statt einer Karte, gleich zwei hat – natürlich muss die dann aus der Region sein. Davon ausgenommen sind allerdings Taxifahrer oder ähnliches. Diese Restriktion hat natürlich einen Grund. Dieser hängt insbesondere mit der geografischen Lage zusammen. Durch die Nähe zu Afghanistan und Pakistan wurde in dieser Region eine große Menge an Treibstoff einfach über die Grenze gebracht und dort weiterverkauft – im Schnitt für das 10-fache. Hauptsächlich nach Afghanistan, weil dort der Bedarf am größten ist.

 

Wie in allen Grenzregionen auf der Welt, in denen zwischen den angrenzenden Staaten gewisse Mängel bestehen, führt das logischerweise zu noch mehr Schmuggel und höheren Preisen. Gerade in diesem Dreiländereck ist Treibstoff nicht das einzige was geschmuggelt wird. Es ist jedoch das einzige, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Pickups ohne Kennzeichen kommen in bester GTA-Manier aus den Bergen geprescht. Die Ladefläche gefüllt mit großen blauen Fässern, in denen der Sprit transportiert wird. Neben dem Exportschlager Benzin, bzw. Diesel gibt es natürlich auch einen großen Bedarf an Waren jenseits der iranischen Grenze. Aus Pakistan wird unter anderem viel Alkohol über die Grenze geschmuggelt, aus Afghanistan nach wie vor Opium. Letzteres gehört, zumindest im Süden des Iran, zum alltäglichen Leben. Die Menschen haben sogar speziell dafür eingerichtete Zimmer in ihren Häusern, in denen sie sich zum Opium rauchen treffen.

Zahedan's finest Bar

Alles was das Herz begehrt

Zahedan's finest Bar

5 Sterne auf Yelp!

Nach zwei Tagen erreichten wir Zahedan, die letzte Station bevor es dann zur Grenzstadt Zabol gehen sollte. Zahedan, die Hauptstadt der Provinz Sistan und Belutschistan, gilt als Hauptstadt des Opiumhandels. Die hohe Verfügbarkeit und der niedrige Preis der Droge sorgen zusätzlich dafür, dass hier ein gewisser Teil der Leute den „Kotti-Lifestyle“ pflegt. Ein echtes Problem scheint es damit aber nicht zu geben. Wahrscheinlich erledigt sich das mittelfristig auch von selbst.

 

Nur selten finden Touristen den Weg bis nach Zahedan, weshalb meine Anwesenheit ein scheinbar größeres Highlight für die lokale Bevölkerung war – zumindest für drei Jungs, die wir in einem Restaurant kennenlernten. Da am kommenden Tag mein Grenzübertritt nach Afghanistan auf dem Programm stand, hatte ich für den Rest des Tages und Abends nichts großartiges geplant – bisschen Sightseeing, die lokalen Heroinpreise checken…das Übliche eben. Nix da! Wie sich herausstellte waren die drei stolze Besitzer einer Bar ganz in der Nähe. Die Einladung in besagtes Etablissement konnte und wollte ich natürlich nicht ablehnen. Was soll schon passieren?! Bar…Iran…da wird es wahrscheinlich Tee bis zum Abwinken geben und wenn ich Glück habe, wird noch die ein oder andere Shisha gereicht. Es sollte anders kommen.

 

Nachdem ich mit meinem Fahrer ein wenig durch die Stadt gedengelt bin und es bereits Abend war, begaben wir uns auf den Weg zur hiesigen Gastwirtschaft. Statt großer, gläserner Fassade, wie man es eigentlich von einer Bar erwartet, zeichnete sich dieses Lokal durch eine 1 Meter breite dunkle Tür zwischen einem Friseursalon und einem Möbelgeschäft an der Hauptstraße aus. Das konspirative Äußere versprach doch etwas mehr als erwartet.

 

Nach einer überschwänglichen Begrüßung nahmen wir im hinteren Teil der Bar platz und ich checkte erstmal die Lage – es war brechend leer. Was aber ganz in meinem Interesse war. Die Jungs setzten sich zu uns und statt Tee gab es „Black Ram“ Whisky. Wir quatschten stundenlang und hatten eine Menge Spaß.
Als dann gegen 23:30 Opium gereicht wurde, hatte ich schon so dermaßen die Lampe an, dass ich ernsthaft Bedenken hatte, aufgrund von „zu besoffen“ nicht nach Afghanistan einreisen zu dürfen. Bevor eine Stunde später vielleicht jemand mit Spritzbesteck auftaucht, entschieden wir uns gegen 0:30 Uhr den Heimweg anzutreten – gute Entscheidung.

Am nächsten Morgen gings dann um 8:00 los in Richtung Grenze. Vorher sammelten wir noch einen der drei vom Vorabend samt Freundin ein. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass wir das irgendwie vorher so vereinbart hatten. Da beide ursprünglich aus Zabol kommen und sie die Gelegenheit nutzen wollten, ihre Familien zu besuchen, bot sich die Mitfahrgelegenheit durchaus an. So ganz uneigennützig war es für uns natürlich auch nicht. Mit den neuen Passagieren an Bord waren wir quasi um eine Tankkarte reicher und hatten keine Probleme mehr an zusätzlichen Sprit zu kommen.

 

Die Strecke von Zahedan nach Zabol ist weitestgehend ziemlich öde. Im Westen grenzt das Gebiet an die Wüste „Lut“, von deren beeindruckenden Dünen und Felsformationen man allerdings nichts sieht, weil es dann doch zu weit entfernt ist. In Zabol angekommen wurden wir durch einen kleinen Sandsturm begrüßt, der sich aber nach kurzer Zeit wieder legte. Nachdem wir unsere Mitreisenden abgesetzt haben und aufgrund Zeitmangels die Einladung ihrer Familien zum Tee ablehnen mussten, gings dann zur letzten Etappe in der islamischen Republik: Zabol – Milak Border Crossing.

Milak Border Crossing

Dort angekommen sah alles recht unkompliziert aus. Ich reihte mich in die Schlange am Abfertigungsschalter ein und bat meinen Fahrer noch kurz zu bleiben, bis ich meinen Stempel hab, denn: Wer weiß…vielleicht bin ich denen zu suspekt, dann steh ich da und glotz blöd…und einen Fahrer hab ich auch nicht mehr um wegzukommen. Auch diese Idee war eine kluge Entscheidung. Der Beamte in seinem Häuschen bekam scheinbar zum ersten Mal ein iranisches e-Visa zu Gesicht. Das in Kombination mit meinem „Made in Dubai“ Afghanistan Visum überstieg seine Kompetenz. Ich solle mich bei seinem Vorgesetzten melden, der allerdings – wie ich feststellen musste – nicht in seinem Büro war. Überhaupt schien er wie vom Erdboden verschluckt und niemand wusste wo er ist. Glücklicherweise war mein Fahrer ja noch da, der mir half die Sache zu klären. Nach ca. 40 min. anstehen und nochmal 45 min. Suche nach dem „Head of Grenzübergang“ war es dann endlich soweit – wir haben ihn gefunden.

Ein netter Typ, der wahnsinnig interessiert an mir und meinem persönlichen Umfeld war. Englisch wird an diesem Grenzübergang scheinbar wenig gebraucht und entsprechend mau sieht es mit den Sprachkenntnissen der im Dienst befindlichen Beamten aus. Deshalb wurde mein Fahrer ebenfalls kurzerhand in das Büro zitiert, um nicht nur zu übersetzen, sondern auch gleich seine Lebensgeschichte zu erzählen und seine Verwandtschaftsverhältnisse aufzudecken. Mit einer solchen Befragung habe ich jedoch vorab schon gerechnet – wäre ja zu schön, wenn da ein westlicher Tourist auftaucht, der nach Afghanistan will und wir lassen ihn einfach passieren. Neeeee, da haken wir lieber nochmal kritisch nach. Da ich nix zu verbergen hatte, plauderte ich wie aus dem Nähkästchen. Nach etwa einer Stunde war die Befragung vorbei. Ich musste noch meinen deutschen Personalausweis abgeben, damit sie den mit meinem Reisepass abgleichen können. Nach 5 Minuten vor der Tür wurde mir dann alles wieder zurückgegeben und ich war ready to go.

 

Milak

Border Crossing

Milak

Border Terminal (Iran)

Iran und Afghanistan werden an dieser Stelle durch eine Brücke getrennt, die praktisch jedoch noch zum Iran gehört. Ab hier wehte dann ein anderer Wind, was Freundlichkeit des Grenzpersonals betrifft. Zumindest was zwei Taliban anging, die noch auf iranischer Seite das Gepäck aller Ankommenden durchsuchten und scheinbar hier für die schlechte Laune zuständig waren. Um dem etwas mehr Nachdruck zu verleihen, hatte jeder von ihnen einen langen Stock in der Hand, mit dem sie Hiebe gegen die austeilten, die nicht schnell genug ihr Gepäck öffneten oder einer Aufforderung nicht sofort nachgekommen sind. Von meinem Fahrer hatte ich mich mittlerweile verabschiedet und war also auf mich allein gestellt. Ich wusste zwar, dass irgendwo auf der anderen Seite mein afghanischer Freund auf mich wartet, aber wo genau und überhaupt…keine Ahnung. Als ich an der Reihe war kam ein Typ auf mich zu und sprach mich an, das er weiß wer ich bin und er mir hilft. Bevor ich in Erfahrung bringen konnte, wieso ich hier im Niemandsland zwischen Iran und Afghanistan so „fame“ bin und erkannt werde, kam einer der afghanischen Stock-Heinis zu uns und gestikulierte wild mit seinem Stock, dass ich doch meinen Rucksack öffnen soll. Als erstes fiel ihm natürlich meine DSLR Kamera ins Auge. Ohne zu fragen schnappte er sie sich und wollte sie aus dem Rucksack nehmen. Womit er nicht gerechnet hat, war das 200mm Objektiv, welches noch daran befestigt war und geschützt durch meine Klamotten bis zum Boden des Rucksacks reichte. Das führte dazu, dass er seinen Stock beiseite legen musste, um sie herauszuholen. Oh jeh, Stock-Heini ohne seinen Stock ist ja mal einfach nur ein Heini…und darauf hatte er so gar keine Lust. Ohne Rücksicht auf Verluste kramte er das Gerät heraus und verteilte so einen Großteil meines Garderobe-Arsenals direkt vor der Brücke. Er hielt die Kamera hoch als hätte er die Bundeslade gefunden und schrie wild umher. Während ich dabei war, meinen Zwirn wieder in den Rucksack zu räumen, marschierte er samt der Technik in Richtung Iran. 

Ja, spinn ich oder was?! Wahrscheinlich wollte er meinen Fahrer noch erwischen, damit er sie nimmt. Bloß nicht nach Afghanistan mit dem Ding. Plötzlich schaltete sich der Typ ein, der mich angeblich kannte. Er zeigte ihm ein Dokument und gab ihm zu verstehen, dass ich für das Equipment eine Genehmigung habe und er mir das Teil sofort wieder aushändigen soll. Etwas widerwillig gab er mir die Kamera zurück, nahm seinen Stock und suchte jemand anders an dem er seine Laune auslassen konnte. Der andere Typ schnappte mich und ging mit mir Richtung Brücke.

 

Auf dem kurzen Weg erzählte er mir, dass er mit meinem afghanischen Freund geredet und ihm zugesichert hat, dass er sich meiner annimmt sobald ich die Grenze passieren will. Auch wenn es dort teilweise so aussieht, aber da kann nicht jeder einfach irgendwo im Niemandsland rumlungern und stundenlang warten. So ging es nämlich meinem Freund, der deswegen des Platzes verwiesen wurde, weil er schon seit 4 Stunden dort war. Dann kam er jedoch von der anderen Seite auf uns zugelaufen und wir trafen uns genau in der Mitte. Nach einer herzlichen Begrüßung bedankte ich mich bei dem – vermutlich – iranischen Grenzbeamten. So genau weiß man es nicht, weil da fast alle in ziviler Kleidung rumlaufen. Dann gings auch schon in Richtung islamisches Emirat.

Zaranj Border

View from Afghanistan

Nimroz und Helmand

Auf afghanischer Seite hat alles einen sehr behelfsmäßigen Eindruck gemacht. Da sitzt hier und da mal jemand auf einem Stuhl und will ein Dokument oder das Visum sehen. In einem 3x2m Häuschen direkt hinter der Brücke tummelten sich 6 Taliban, die aus einer Mischung von „Stolz darauf, das zur Abwechslung mal jemand kommt, anstatt das alle weg wollen“ und „Häh? Was will der denn hier?“ sofort ihre Telefone zückten als sie mich sahen und Fotos machen wollten. Wie sich herausstellte, haben fast alle von denen die ich auf meiner Reise kennengelernt habe, Instagram Accounts. Diese müssen natürlich täglich mit neuem, heißen Scheiß besaftet werden – oder dann eben mit mir. Alles in allem war die Abwicklung auf afghanischer Seite ein Kinderspiel. Mein Freund sagte mir, dass etwas weiter vorne nicht nur unser Fahrer wartet, er hat spontan noch seinen Schwager mitgebracht. „Is ok for you, Mister Schoeps?“ Ich sag: „Mister Schoeps is my dad. As you know, my name is Andreas. Of course it’s ok to bring your brother in law.“ Ok, Andreas war ihm viel zu kompliziert auszusprechen, deshalb war ich für den Rest der Reise „Mr. Scopes“, weil er „Schoeps“ auch nicht aussprechen konnte. Die Freude war groß, als wir die beiden anderen endlich trafen – kein Wunder. Nicht nur, das sie bereits seit mehreren Stunden an der Grenze auf mich gewartet haben, sie sind ja auch den ganzen Weg von Kabul bis Zaranj gefahren. 2,5 Tage für knapp 1000km, und das bei den Straßenverhältnissen. Das wurde ganz landestypisch mit etwas Haschisch gefeiert, welches wir bis zum Zentrum von Zaranj weggeatmet haben. Auf meine Frage, ob wir kein Problem mit den Taliban bekommen, hieß es: „They don’t care.“ Ok, bestens. Da ich schon gefühlt 20 Jahre keinen Ofen mehr geraucht habe, hatte ich bei unserer Ankunft in Zaranj Downtown schon gut Öl am Hut. Allerdings gab es noch ein paar organisatorische Dinge, die dringend erledigt werden mussten. Local money, local SIM Card und local Autowerkstatt – die 1000km sind nämlich nicht spurlos an den Autoreifen vorübergegangen. Auch in Afghanistan gilt: „safety first“, zumindest wenn ich dabei bin.
Welcome to Afghanistan

Schwarzer Afghane

Zaranj

City center

Geld war schnell besorgt. SIM Card war schon schwieriger, weil man sich dafür normalerweise registrieren muss und das offiziell nur für Afghanen gilt. Zaranj als „Border Town“ zieht nicht nur äußerst zwielichtige Gestalten an, die hauptsächlich dem Schmugglergeschäft frönen und überall präsent sind, die Nähe zur Grenze hat auch den Vorteil, dass man hier relativ leicht an SIM Cards vom Schwarzmarkt kommt. Kostet dann zwar 20$ für 20GB, aber immerhin war ich dann online – zumindest in der Nähe von Städten.

 

Es hatte sich scheinbar schnell rumgesprochen, dass „jemand neues“ in der Stadt ist. Während ich mich im Auto dem Rausch hingabt, und mein Freund versuchte eine SIM Card aufzutreiben, tauchte wie aus dem Nichts neben unserem Auto der Geheimdienst der Taliban auf. Das hat optisch rein gar nichts mit „Men in Black“ und Sonnenbrillen zu tun, wie man es sich von Geheimdienstlern vorstellt. In der Regel sind sie zu zweit auf einem Motorrad unterwegs und unterscheiden sich, für das ungeübte Auge, kaum von der Zivilbevölkerung. Ich war wenig überrascht, weil sich der Besuch gewissermaßen schon vorab angekündigt hat. Man bekommt mit der Zeit ein Gespür für solche Sachen. Trotz lokaler Kleidung fällt man natürlich auf wie ein bunter Hund. Gerade in Gegenden wo sonst eher keine Ausländer, bzw. niemand aus dem Abendland anzutreffen ist. Mit der Zeit habe ich gelernt, speziell in solchen Gebieten, ein besonders wachsames Auge und Ohr zu haben. Das funktioniert in der Regel ganz gut, aber oft stellen sich die Denunzianten auch einfach nur blöd an. Man schaut sich unauffällig die Gegend an und bemerkt jemanden, der einen auffällig, unauffällig beobachtet. 5 Sekunden später sieht man die Person mit Handy am Ohr nur noch angestrengt in meine Richtung schielen – da weiß man schon: Alles klar, gleich kommt jemand, der sich meiner annimmt. Da kann man froh sein, wenn es nur der Geheimdienst ist. Solche Situationen werden nämlich auch gerne für Entführungen genutzt. Da diese aber mit einem erheblichen Aufwand verbunden sind und normalerweise länger geplant werden, sollte man weder seine geplante Reiseroute, noch Zeit und Ort seines Aufenthalts zu weit im Voraus an egal wen kommunizieren. Schon gar nicht per social media.

 

Wohlwissend das mir keine Gefahr drohte und ich mir vorab zumindest rudimentäres Pashto draufgeschafft hatte, hing ich locker in den Seilen als der Talib seine Larve ins Auto hielt. „Hallo! Wie geht’s?“. „Danke, gut. Und selbst?“ Sage ich „rudimentär“, meine ich damit: Das war’s. (zumindest zu diesem Zeitpunkt) Scheinbar hatte ich mir die wenigen Vokabeln so gut angeeignet und fast akzentfrei gesprochen, dass er davon ausging, ich würde jetzt eine Konversation mit ihm starten. Unser Fahrer sprang mir glücklicherweise bei und erklärte ihm den Sachverhalt. Blöd war allerdings, dass der Fahrer kein Englisch sprach und mein Freund samt Schwager den hiesigen Schwarzmarkt nach SIM Cards auskundschaftete. Die Dokumente vom Ministerium, inkl. aller Genehmigungen etc. hatte er nämlich bei sich. Glücklicherweise kam er kurze Zeit später und sorgte dafür, das wir unsere Reise fortsetzen konnten.

Nachdem wir unser Fahrzeug mit neuer Bereifung ausgestattet haben ging es dann in Richtung Lashkar Gah, Helmand. Es war bereits 17:00 Uhr und vor uns lagen mindestens 6 Stunden Fahrt.

 

Die einbrechende Dunkelheit war kein Problem, da Nimroz außer Wüste nicht sonderlich viel zu bieten hat. Den Mangel an Sehenswertem glichen wir durch „schwarzen Afghanen“ wieder aus. Noch nicht mal die Checkpoints waren interessant, da die Dunkelheit mein okzidentales Äußeres bestens kaschierte und wir überall durchgewunken wurden. Kurz nach Mitternacht erreichten wir unser Ziel und checkten in einem Guesthouse ein. Ich war hundemüde und begab mich gegen 1:00 Uhr in die Horizontale. Eine Stunde später wurde ich durch das Klopfen an meine Tür geweckt. „Mr. Scopes!“ Alter, was will er denn jetzt? In Erwartung, das mein Freund wohl irgendwas wegen dem kommenden Tag besprechen wollte, öffnete ich nur in Boxershorts bekleidet die Tür. Zu meiner Überraschung stand nicht nur er davor. Er hatte gleich noch zwei bewaffnete Taliban dabei, die zur Geheimpolizei gehörten und mir ein paar Fragen stellen wollten. Leute, kann das nicht bis zum Morgen warten?! Konnte es nicht. Ich bat sie herein. Allerdings war es ihnen nicht so einerlei, das ich so knapp bekleidet war. Ok, schnell den afghanischen Zwirn übergeworfen und dann konnte es losgehen. Nach knapp 15 Minuten war die Fragerunde beendet. Und das konnte nicht bis zum Morgen warten? Ähm, nein. Ich solle frühs ins Ministerium kommen und mir eine Genehmigung ausstellen lassen für die Orte die ich gerne besuchen möchte. Man würde mir auch einen der ihren zur Seite stellen, der für meine Sicherheit sorgt. Moment mal, Sicherheit? Ich dachte jetzt wo ihr hier das Sagen habt, ist alles safe?! Ja ja, grundsätzlich schon, aber wer weiß…Im Prinzip versuchen sie es einem als Vorteil zu verkaufen. Der eigentliche Grund ist allerdings der, das sie natürlich gerne die Kontrolle über all meine Tätigkeiten vor Ort haben wollen.

 

Früh morgens gings dann also zum Ministerium, um die entsprechende Genehmigung einzuholen. Danach starteten wir samt Bewacher in Richtung Qala-e-Bost – das Highlight an Sehenswürdigkeiten in Helmand. 3000 Jahre alte Überreste einer Festung und der berühmte Bogen, der die 100 Afghani Banknote ziert. Nach etwa einer Stunde haben wir sämtliche Zugänge der alten Festung ausgekundschaftet und kehrten wieder zurück nach Lashkar Gah. Gegen 16:00 Uhr starteten wir zum nächsten Ziel unserer Reise – Kandahar, die Geburtsstätte der Taliban.

Guesthouse

Lashkar Gah

Qala-e-Bost

Helmand

Qala-e-Bost

Talib - Photo Shooting

Kandahar

Nach knapp 4 Stunden erreichten wir Kandahar. Darauf war ich besonders gespannt, weil bei meinem ersten Besuch 2018, die Möglichkeiten doch stark begrenzt waren. Ich sollte nicht enttäuscht werden. Konnte ich mich 5 Jahre zuvor nur versteckt im Taxi durch die Stadt bewegen, war es jetzt das komplette Gegenteil. Klar, auch hier war der Besuch des Ministeriums Pflicht, aber mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Abends dengelten wir noch ein wenig durch die Straßen, bevor wir dann am Morgen zum Sightseeing aufbrachen. Kandahar ist die drittgrößte Stadt Afghanistans und dementsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass hier entweder Verwandte oder Freunde von jemandem der z.B. aus Kabul kommt, wohnen. Die Anwesenheit muss natürlich ausgenutzt werden, um diese Leute mal wieder zu treffen. Dieser Umstand bescherte mir die einzigartige Möglichkeit, eins der größten Krankenhäuser der Stadt zu besuchen. Zwei von diesen Freunden waren nämlich nicht nur Mitglieder der Taliban, sondern auch Ärzte im Mirwais Hospital. So bekam ich eine Führung durch das komplette Gebäude, mal abgesehen vom Frauenbereich. Vom sehr ruhigen Außenbereich mit Garten über die Leichenhalle, bis zu den Patientenzimmern mit gerade stattfindender Visite – Wahnsinn. Mir wurden mehrere Ärzte vorgestellt, die sich über meine Anwesenheit freuten und mir stolz ihren jeweiligen Bereich vorführten.
Mirwais hospital

Kandahar

Mirwais hospital

Mortuary

Da beide den Taliban angehörten, übernahmen sie den Part der „Security Truppe“ für das weitere Sightseeing in und um die Stadt. Das erwies sich nicht nur als großer Vorteil was den Konsum von Haschisch während des Trips anging. Solche Leute kennen natürlich auch Personen, an die man normalerweise nicht rankommt. Als wir die Hazrat Mohammad Moschee im Aino Maina Disctrict besuchten, sagte einer der beiden, dass sein Onkel gleich nebenan wohnt und wenn ich Lust hätte, können wir mal vorbeischauen. Klar, warum nicht…ich hatte ja auch schon länger keinen Tee mehr. Direkt neben der Moschee war ein verhältnismäßig großes Anwesen, vor dem ein Talib mit M16 Gewehr stand. Wir alle wurden durchsucht und sogar die beiden anderen mussten ihre Waffen abgeben, bevor wir in den Innenhof durften. Hm, was das denn für’n Onkel? Der scheint ja arge Bedenken um seine Sicherheit zu haben. Im Hof stand ein SUV mit Regierungskennzeichen. Das erschien mir doch zu interessant, um da nicht noch mal kurz nachzuhaken, bevor wir das Gebäude betreten würden. „Whose car is this?“ „Oh, this one…this is my uncle’s car. He’s the local commander of Kandahar city.“ Ja leck mich doch am Besen Junge! Wieso sagst du das nicht gleich?! Noch bevor ich meiner Begeisterung Ausdruck verleihen konnte hieß es: Schuhe aus und rein da! Dort saßen dann direkt vor mir an der Wand 7 Leute, alle sehr gepflegt, gut gekleidet und ausgestattet mit teuren Uhren. Zu meiner linken saßen 4 Kinder, alles Jungs. Die Anwesenden waren nicht weniger erstaunt als ich, während ich einen nach dem anderen mit Handschlag begrüßte. Der Onkel bot mir einen Platz direkt neben sich an und wir begannen etwas zu plaudern. Ehrlich gesagt war ich ziemlich – na ja „star-struck“ ist sicher der falsche Ausdruck, aber ich war schon ein wenig eingeschüchtert. Es kamen die üblichen Fragen, die mir während meiner Reise ständig gestellt wurden. Die Top 5 waren: Was ist mit deinen Haaren passiert? Magst du die Taliban? Wie findest du Afghanistan? Hast du das Gefühl sicher zu sein? Willst du nicht zum Islam konvertieren? Hatte immer ein bisschen was von „Na, wie war ich?“, mit vorgehaltener Waffe. Nur eben mit dem Unterschied, dass wenn man vermeintlich falsch antwortet es nicht mit Post koitalem Weinen endet, sondern man damit rechnen muss, keine entspannte Reise mehr zu haben. Außerdem wäre es wahnsinnig unhöflich und sehr unklug, offensichtliche Probleme anzusprechen.

Kandahar Prison

Kandahar

Hazrat Mohammad Mosque

Kandahar

40 steps of Kandahar

Kandahar

Nach dem spontanen Sit-In gings dann u.a. noch zu den „40 steps of Kandahar“, die ich 2018 nur von unten sehen konnte, jetzt aber endlich mal hochklettern wollte. Von dort oben hat man einen wunderbaren Blick über ganz Kandahar, insbesondere das Gefängnis, welches direkt darunter liegt. Bei dieser Gelegenheit erzählte mir mein Freund, dass er bereits 4 Mal von den Taliban verhaftet wurde und auch im Kandahar Prison saß. What? Das erzählst du mir jetzt, nachdem wir schon ne Woche unterwegs sind?! Die genauen Hintergründe werde ich zu seinem Schutz hier nicht veröffentlichen. Nur mal so als kleiner Abriss von dem, was er mir erzählt hat…Es macht einen riesen Unterschied, ob man zur normalen Bevölkerung gehört und vielleicht Dinge macht, die nicht ins Weltbild der Taliban passen, oder man nur zu Besuch da ist, wie ich, und das dringend benötigte Geld ins Land bringt.

Was mich wenig bis gar nicht überrascht hat ist: Man kann jederzeit, ohne Begründung und ohne rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen, verhaftet werden. Niemand der Verwandten oder Freunde weiß dann wo man ist. Will man jemandem Bescheid sagen, kostet das natürlich Geld. Es gibt die offiziellen Gefängnisse, die schon die vorherige Regierung genutzt hat und es gibt spezielle Gefängnisse, welche die Taliban selbst errichtet haben. Das sind in der Regel keine großen Areale, sondern eher kleine, versteckte Gebäude, in denen nur wenige Häftlinge gleichzeitig sind. Wer dorthin kommt, hat meist sehr schlechte Karten und weiß, dass er da mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr lebend rauskommt. Aber selbst in den normalen Gefängnissen, kann man da nicht sicher sein. 

 

Mein Freund erzählte mir, wie es bei ihm ablief. Der Geheimdienst lauerte ihm abends auf und fesselte ihn. Kniend auf dem Boden richtete man eine Waffe gegen seinen Kopf. Ihm wurden Fragen gestellt, die bei Nichtbeantworten oder falscher Angaben zur sofortigen Erschießung führen würden. Basierend auf Suren aus dem Koran wurde hin und her diskutiert. Aufgrund seiner hervorragenden Kenntnisse, was den Glauben und den Koran selbst angeht, konnte er eine Exekution an Ort und Stelle abwenden und wurde stattdessen ins Gefängnis gesteckt. Mit offenem Mund und bei 40° in der Mittagssonne Kandahars hörte ich ihm weiter zu, während er erzählte. Im Gefängnis selbst wird kein sonderlich großer Unterschied gemacht, wer da mit wem die Zelle teilt. Mörder, Autoschieber und Erpresser könnte man sagen. In Kandahar waren das etwa 20 Gefangene in einer Zelle. Die ersten 5 Tage bekam er nichts zu essen und nichts zu trinken. Das musste er sich von seinen Mitgefangenen erbetteln, aber selbst die haben wenig bis gar nichts. Jede Nacht, 4 Wochen lang wurde er um 3:00 Uhr nachts aus der Zelle geholt und in einen speziellen Verhörraum gebracht. Dort waren 3 bis 4 Taliban anwesend. Er wurde mit Händen über dem Kopf an der Decke gefesselt, so dass er nur mit den Zehenspitzen den Boden berührte. Wieder und wieder wurden im Fragen gestellt und man wollte ihn zwingen, ein Geständnis zu unterschreiben – was im Normalfall einem Todesurteil gleichkommt. Um der Dringlichkeit mehr Ausdruck zu verleihen, versetzte einer der Anwesenden Taliban ihm immer wieder Stromschläge in den Nackenbereich. Das zog sich dann meist über 1,5 bis 2 Stunden hin.

 

Junge, ich hätt‘ mich schon zweimal eingeschifft während ich gefesselt auf Knien in den Lauf einer Ak47 hätte schauen müssen. Aufgrund welchen glücklichen Umstands er dann nach 40 Tagen gehen durfte, ist nochmal eine ganz eigene Geschichte, die ich hier erstmal auslasse. Mit dieser wilden Geschichte im Kopf beendeten wir dann unseren Aufenthalt in Kandahar und machten uns auf in Richtung Ghazni.

Ghazni und Kabul

Der Kandahar-Kabul Highway gilt als eine der berüchtigtsten Strecken in ganz Afghanistan. Die Distanz beträgt etwa 500 km. Bevor die Taliban an die Macht kamen, war diese Strecke eines ihrer Hauptanschlagsziele. Ich habe nicht mitgezählt, aber allein bis nach Ghazni waren es bestimmt 20 Stellen, die durch IEDs zerstört wurden. An den meisten finden tatsächlich Bauarbeiten statt. Diese werden in der Regel jedoch nicht von den Verursachern selbst durchgeführt. Wäre eigentlich auch zu witzig: erst alles kaputt machen, um dann zu merken, „Hm, auf einer zerbombten Straße fährt es sich ja nicht so gut. Mist, da müssen wir nochmal ran.“ Nein, die Taliban spannen für solche Arbeiten andere Menschen ein. Das dafür benötigte Geld nehmen sie sich hauptsächlich von den „Hazara“, eine ethnische Gruppe, die nicht wie die Taliban sunnitisch geprägt sind, sondern fast ausschließlich schiitisch. In und um Ghazni stellen sie die Mehrheit der Bevölkerung und werden schon lange von den Taliban unterdrückt. Das Leben für die Hazara in Afghanistan war schon immer nicht leicht, aber seit dem die Taliban das Sagen haben, hat sich die Lage noch mehr zugespitzt. Die Repressalien haben sogar wir zu spüren bekommen.
Kandahar - Ghazni Highway

On the road again

Minarets of Ghazni

Icke

Für die 350 km bis Ghazni haben wir aufgrund der widrigen Straßenverhältnisse knapp 10 Stunden gebraucht. 2:00 Uhr nachts passierten wir die Stadtgrenze. Die Straßen waren menschenleer und überhaupt erschien die Stadt wie ausgestorben. Auf der Suche nach einer Unterkunft schlichen wir mit Schrittgeschwindigkeit durch Ghazni. Plötzlich kamen aus mehreren Richtungen Hunde auf unser Auto zu gerannt. Laut bellend, die Zähne gefletscht und super aggressiv sprangen sie sogar bis zu den offenen Fenstern hoch. Die totale Zombieapokalypse schien über uns hereingebrochen zu sein. Nach etwa 40 Minuten trafen wir auf jemanden, der uns eine Unterkunft besorgen wollte. Das alles ging sehr konspirativ von Statten. Die Taliban erlauben den Hazara nämlich z.B. nicht, Guesthouses oder Hotels nach 22:00 Uhr geöffnet zu haben. Wenn sie also mitkriegen, das während der Sperrstunde Räumlichkeiten angeboten werden, hat derjenige ein riesen Problem. Flüsternd und mit Taschenlampe ging es dann in ein offensichtlich verlassenes Gebäude – ohne Wasser, ohne Strom, ohne Betten oder überhaupt nur irgendwas worauf man hätte schlafen können. Einfach nur ein verlassenes Gebäude mit Betonboden, welches ihm noch nicht mal gehört hat. Für diese Dienstleistung wollte er dann natürlich Geld haben. Da wurde mein Freund, obwohl er ein sehr ruhiger Typ ist, auf einmal ziemlich angry und drohte dem Typen damit, ihn an die Taliban zu verpfeifen, wenn er uns nicht auf der Stelle etwas anderes besorgt. Kurz vor Faustkampf wurde sich dann doch noch geeinigt und wir wurden zu einem Verwandtem gelotst. Der hatte zwar auch keinen Platz für uns, aber er hatte zumindest einen Raum mit Teppich und gab uns Decken. Kurz nach 4:00 Uhr morgens lag ich zugedeckt in irgendeiner Bude gleich neben der Tankstelle. War mir scheißegal…ich war müde. Außerdem meinte der Besitzer, wir müssen spätestens um 7:00 Uhr schon wieder da raus. Dementsprechend fühlte ich mich dann auch, als es hieß: „Aufsatteln!“

 

Erste Station war wieder das Ministerium, um eine Genehmigung zu holen, danach gings dann zu den „Minarets of Ghazni“, der „Citadel of Ghazni“ und einem Schrein dessen Namen mir entfallen ist. Dieses Mal wurde mir sogar ein – na ja, „richtiger Touristenführer“ – zur Seite gestellt. Der hat sich richtig gefreut, endlich mal was zu tun zu haben. Was mich etwas geärgert hat war die Tatsache, dass ich fälschlicherweise davon ausgegangen bin, das Grab von Mullah Omar, dem Mitbegründer der Taliban, würde sich in der Nähe von Ghazni befinden. Allerdings sagte man mir, dass sich die Grabstelle in Zabul befindet, also weiter im Süden. Doppelt ärgerlich, weil wir ja aus dieser Richtung kamen und leicht dorthin gekommen wären. Egal, der läuft sicher nicht weg und falls ich nochmal zu Besuch komme, ist das auf meiner Liste.

 

Zum ersten Mal während meiner Reise durch Afghanistan verbrachte ich zwei Nächte an einem Ort. Für die zweite Übernachtung suchten wir uns jedoch ein etwas angenehmeres Guesthouse aus. Mein Gesamtzustand am kommenden Morgen war ausgezeichnet. Das konnte man von der Straße in Richtung Kabul nicht behaupten. Auch hier war ein großer Teil der Strecke durch Sprengfallen zerstört und zwang alle die unterwegs waren, in den Wüstensand auszuweichen. Für die 150km benötigten wir knapp 7 Stunden. In der (Noch-)Hauptstadt angekommen gönnte ich mir erstmal ein richtiges Hotel. Wer sich fragt, wieso „Noch-Hauptstadt“…zum Zeitpunkt meiner Reise gab es, und gibt es momentan zwei Monate später noch immer, Überlegungen Kandahar als Hauptstadt zu etablieren.

Bamyan und Band-e-Amir

Die erste Nacht in einem richtigen Bett war eine echte Wohltat. Von Kabul aus gings dann am kommenden Tag Richtung Westen. Bamyan und der Band-e-Amir National Park standen auf dem Programm. Beide Orte wollte ich eigentlich gar nicht besuchen, ließ mich jedoch von meinem Freund breitschlagen, der zu recht wie die meisten Afghanen sehr stolz auf den National Park ist – „It’s a very beautiful place, everything is green and the water is so clean. I hope you are not unhappy Mr. Scopes.“ Nope, war ich natürlich nicht. Zeitlich war ich sowieso relativ flexibel.

Um möglicher „Unhappiness“ vorzubeugen gabs für die Fahrt ein paar bunte Pillen, die beim Mann unseres Vertrauens vor der Abfahrt besorgt wurden. Damit das Zeug auch schön in die Rübe geht, wurden bei 40° Außentemperatur und fehlender Klimaanlage alle Fenster geschlossen. In unserer fahrenden Sauna erreichten wir nach knapp 4 Stunden Bamyan. Da es sich bei Bamyan um eine bei Touristen beliebte Region handelt, konnten wir hier auf den üblichen Besuch des Ministeriums verzichten. Der Rest ist schnell erzählt…Überbleibsel der Buddha Statuen angeschaut, in die Höhlen geklettert, ein altes Fort besucht, danach weiter nach Band-e-Amir gefahren. Dort war es vergleichsweise kalt aufgrund der Höhenlage. Zudem war Off Season und wir waren die einzigen Gäste, die in der günstigsten Unterkunft die es gab, eincheckten. Wir erreichten den Nationalpark mit Sonnenuntergang, dementsprechend wenig Programm stand für den Abend noch an. Also wurde sich mal wieder für schwarzen Afghanen entschieden. Vorher kauften wir noch ein Huhn, welches wir dann in einem afghanischen Kazan direkt in unserem Zimmer zu einem Süppchen zubereiteten.

 

Wir tauschten uns stundenlang über Religion und insbesondere den Islam aus. Wenig bibelfest konnte ich jedoch mit etwas Grundkenntnissen sogar Fragen zum Christentum beantworten. Ein super interessanter Abend. Das Huhn köchelte gefühlte 3 Stunden vor sich hin und der schwarze Afghane wurde immer weniger. Kurz um: wir hatten alle schon gut die Lampe an, als es plötzlich an der Tür klopfte. Tadaaaah! Sittenpolizei! Zwei ältere Männer in weißem Gewand standen da und verlangten nach Antworten. Worauf war mir jedoch schleierhaft. Mein Freund diskutierte ein wenig mit ihnen und nach 5 Minuten gingen sie wieder. Wie sich herausstellte, haben sie wohl beim vorbeilaufen die Rauchware wahrgenommen und wollten mit ihrem Besuch Einhalt gebieten. Normalerweise läuft das nicht so glimpflich ab, deshalb fragte ich meinen Freund, was er ihnen für eine Story aufgetischt hat, dass wir ohne Strafe davon kommen. „Everything is good, they don’t have a problem. I told them that you are a foreigner and a friend of mine. I also told them that you wanted to have a typical Afghan experience with Hashish. And because we are so hospitable, we could not refuse your request.“ Alles klar, erst mal schön den Efendi aus dem Abendland vors Loch geschoben, wenn Verhaftung droht. Aber auch das hatte natürlich seinen Grund. Meine zuvor angesprochene Charm Offensive äußert sich unter anderem eben auch darin, dass bei Ausländern über gewisse Kleinigkeiten hinweggesehen wird. Haschisch selbst wird von den Taliban weitestgehend toleriert, aber sie selbst rühren das Teufelszeug nicht an. Hätten sie uns mit Koks und Nutten erwischt, wäre sicher auch mein Abendlandbonus hinfällig gewesen.

 

Den Vormittag des kommenden Tages nutzten wir für die Erkundung des Nationalparks, der wirklich beeindruckend ist. Nachmittags gings zurück nach Kabul, wo wir am Abend auf einen Junggesellenabschied eingeladen waren. Das versprach interessant zu werden, weil ich mich fragte wie das wohl von Statten geht. Mal abgesehen von ihren eigenen heißen Tracks, den Tarana, haben die Taliban ein striktes Verbot jeglicher Art von Musik erlassen. Musikinstrumente wurden öffentlichkeitswirksam verbrannt und Musiker selbst dürfen nicht mehr als solche auftreten. Umso mehr überraschte es mich, dass auf der Feier laute Musik aus den Boxen dröhnte, zu der die Anwesenden abwechselnd und alleine in der Mitte des Raumes tanzten. Es lief ausschließlich lokale Musik, eine Art „Best of Afghanistan“. Alle waren supernett und ich schätze mal das mindestens die Hälfte von den etwa 40 Anwesenden ebenfalls was von den bunten Pillen genascht hat. Das wurde mir dann vom zukünftigen Bräutigam auch bestätigt. Ich lehnte jedoch dankend ab. Nach ein paar Stunden wollten wir dann wieder los, wurden jedoch von drei Taliban, die in einem Vorzimmer des Hauses saßen, zu ihrem kleinen, elitären Sit-In eingeladen. Diese Gelegenheit nutzte ich, um rauszufinden weshalb hier scheinbar andere Regeln gelten als sonst. Es stellte sich heraus, dass die drei alte Freunde des Hausbesitzers und des Bräutigams waren. Bei engen Freundschaften ist man also offensichtlich moralisch flexibel, auch als Talib.

Schwarzer Afghane

All day long

Band-e-Amir

National Park

Junggesellenabschied

Kabul

Korengal Outpost - Kunar Province

Die kommenden Tage sollten mich zum ersten richtigen Highlight meines Trips bringen – dem legendären Korengal Outpost im Dara-I-Pech District von Kunar. Diesen Ort besuchen zu dürfen war mir von Beginn meiner Planung an mit am wichtigsten. Die zwei äußerst sehenswerten Dokumentationen „Restrepo“ und „Korengal“, von Tim Hetherington und Sebastian Junger, beleuchten dieses von den Amerikanern als Basis genutzte Areal im Korengal Valley auf beeindruckende Art und Weise. Ich schaute mir aktuelle Satellitenbilder an und stellte fest, dass dort selbst nach dem Abzug amerikanischer Truppen und nachdem die US Marines den Stützpunkt 2017 aufgegeben haben, noch immer Überreste zu sehen sind. Interessant. Diese Recherche betrieb ich bereits vor meinem ersten Besuch 2018. An einen Besuch dieser Region war zu der Zeit jedoch nicht mal ansatzweise zu denken. Also schaute ich mir aktuelle Luftaufnahmen an und konnte noch immer die Überreste erkennen. Gut, das ist jetzt kein typisches Ziel für Touristen und wenn es um militärische Einrichtungen o.ä. geht, hat man meist schlechte Karten bei einer Anfrage. Heimlich besuchen ist auch keine Option, weil die Gegend so abgelegen ist und man überall auffällt und kontrolliert wird. Ich habe mir also vorab versichern lassen, dass ich eine Genehmigung bekomme und es grundsätzlich ok wäre. Klar, was dann tatsächlich draus wird, wenn ich vor Ort bin, stand auf einem anderen Blatt, aber zumindest war ein Besuch nicht ausgeschlossen – und das reichte mir zu dem Zeitpunkt.
Mano Gai

Korengal

Korengal Valley

Armed Escort

Gut gelaunt starten wir vormittags in Richtung Nangarhar Province. Ich kann mich noch gut an 2018 erinnern, als ich in Jalalabad saß, auf die Kunar Bridge schaute und dachte, „Wie gefährlich kann es auf der anderen Seite schon sein?! Wirklich zu schade, dass ich da nicht hin kann.“ Jetzt, 5 Jahre später, war ich eben auf dieser anderen Seite und fuhr weiter in Richtung Kunar und Nuristan. Gegen 16:00 Uhr erreichten wir Asadabad, die Provinzhauptstadt. Dort hieß es Daumen drücken beim Besuch des Ministry of Information and Culture. Der Verantwortliche dort entscheidet nämlich zunächst mal, ob ich überhaupt in die Nähe des Korengal Valley darf. Ob ich am Ende tatsächlich auch den Outpost besuchen darf entscheidet hingegen nochmal jemand anderes, und zwar der local governor of Mano Gai. Dazu komme ich gleich.

 

Der Verantwortliche im Ministerium war wahnsinnig nett und hat sich über meinen Besuch und mein Interesse sehr gefreut. Er meinte, Kunar werde ohnehin nur sehr wenig besucht von Touristen – wenn denn mal einer kommt, was er absolut nicht verstehen kann. Dabei hat Kunar viel zu bieten, sagte er. Um seine These zu untermauern, holte er sein Handy raus und zeigte mir Fotos vom diesjährigen Treffen der Taliban Kommandeure im Korengal Valley. Oha! Also, ich meine…klar, Natur…Bäume, Wiesen…alles voll grün und so…wirklich schön. Aber er zeigt mir tatsächlich Fotos von denen, die das Sagen in allen umliegenden Districts haben. Damit nicht genug, er zeigte mir auf der Karte wo genau dieser Ort ist und sagte, das nicht weit von da auch noch zwei amerikanische Helikopter rumliegen, die sie mal abgeschossen haben. Die könnte ich mir gerne anschauen, wenn ich will. Klar will ich! Daraufhin durchforstete er sein Handy nach Videomaterial und führte voller Stolz eigens gedrehtes Material vor, welches nicht nur den Abschuss eines Helikopters zeigte, sondern auch diverse andere Kampfhandlungen, in denen sie damals gegen die Amerikaner gekämpft haben.

 

Ach ja, wo wir schon beim Thema sind…wie siehts mit dem Outpost aus? Kann ich den auch besuchen? Dazu muss man sagen, dass das Korengal Valley auch „Valley of Death“ genannt wird, weil dort die meisten Amerikaner während der Besatzung ums Leben gekommen sind. Einer der Gründe warum die Einheimischen sehr stolz auf diese Gegend sind. Klar wollen sie das auch zeigen, was sie „geleistet haben“. Und da ich kein Amerikaner bin, wäre es von seiner Seite aus kein Problem. Er ruft mal schnell den Gouverneur von Mano Gai an und sagt das ich kommen will. Er würde mir dann zwei bergtaugliche Fahrzeuge und armed escort zur Verfügung stellen. Ja, wie geil. Wir bedankten uns und starteten Richtung Mano Gai, was etwa 30 km von Asadabad entfernt liegt.

Die Gegend und Straßen wurden rauer. In solch entlegenen Gebieten gibt es noch nicht mal mehr Checkpoints. Für die Sicherheit sind die Bewohner selbst verantwortlich. Als wir Mano Gai erreichten stellte sich uns ein Typ entgegen und stieg einfach ins Auto ein. So richtig freundlich sah er nicht aus, aber das tut keiner in der Gegend. Er lotste uns durch das kleine Bergnest zum lokalen Polizei Headquarter. Dort wurden uns von mehreren Taliban wieder viele Fragen gestellt. Nachdem wir den „Test“ scheinbar bestanden hatten luden sie uns ein, noch ein wenig mit ihnen auf dem Dach zu sitzen, zu essen, zu beten und zu reden.

 

Wer nicht fehlen durfte, war der hiesige „religious scholar“. Der stieß etwas später dazu und nahm sich meiner an. Das hatte ich bereits vorher zweimal erlebt und wusste was auf mich zukommt. Sobald sie mitkriegen, das Ungläubige in der Gegend sind, versuchen diese Religionsgelehrten dich zu ihrem Glauben zu bekehren. Sie sind ausnahmslos immer sehr höflich, gepflegt und gut gekleidet. Während er sprach hatten alle anderen Sendepause. Es wurde gefühlt auch immer etwas aufdringlicher. Mir wurden all die Vorteile dargelegt, die der Islam mit sich bringt. Außerdem wäre ich, als jemand der den Glauben wechselt, nochmal was ganz besonderes und würde von Allah dafür belohnt werden. Klingt erstmal so wie „Na ja, sagste halt nein, und gut is.“

 

Versucht mal, euch in die Situation reinzudenken! Ich sitze im absoluten Nirgendwo, umringt von 9 Taliban, einem Religionsgelehrten und meinen 3 Begleitern (Fahrer, Guide und ein Kumpel von ihm) auf dem Dach des lokalen Polizei Headquarters. Rundherum Berge ohne Ende, auf denen an mehreren Stellen kleine Gefechtsstationen, bzw. Aussichtstürme stehen, die alle besetzt waren. Da versucht man sich eben diplomatisch gekonnt herauszureden, anstatt zu sagen: „Junge, das bringt doch hier nix. Merkste selbst, oder?!“ Man wird übrigens deutlich mehr verachtet, wenn man an gar nix glaubt. Atheisten sind ihnen also sehr suspekt und bekommen so gar keine Achtung geschenkt. Es ist meiner Erfahrung nach „weniger schlimm“, wenn man sich als Christ outet, als nur zu sagen: „Ich glaube an gar nichts.“

 

Apropos „Glauben“…ich glaube, ich muss schon seit 3 Stunden dringend mal schiffen, habe aber immer die richtige Gelegenheit verpasst. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es auch wahnsinnig unhöflich das anzusprechen. Nach Anbruch der Dunkelheit hieß es dann, der Gouverneur sei bereit uns zu empfangen – was auch immer das bedeuten würde. Ich war sowieso seit Stunden wie ferngesteuert und hatte keine Kontrolle über irgendwas. Ich hab quasi immer nur gemacht, was gesagt wurde. 4 Taliban, alle so Anfang bis Mitte 20 begleiteten uns auf einem Weg neben dem Pech River in Richtung „Gouverneursvilla“. Wenige hundert Meter vom Polizeigebäude blieben wir vor einer Eisentür stehen. Einer der 4 klopfte mit seinem M-16 Gewehr an. Kurz darauf öffnete einer der Securityguards und bat uns herein. Wir gingen durch den Innenhof und dann eine Treppe hinauf. Im ersten Stock angelangt war eine große freie Fläche mit Decken und Kissen. (Klingt ein bisschen wie Dachterrasse, aber es war einfach ein sehr großer Raum, dem an zwei Seiten die Wände fehlten – Rohbau-Feeling.) Nach etwa 30 Minuten kam der Gouverneur dann aus dem oberen Teil des Gebäudes herunter und setzte sich zu uns.

Mano Gai Prayer

Mano Gai

Mano Gai

Police headquarter next to Pech river

Mano Gai

Governor's place

Es wurde wieder viel geredet. Zwischendurch wurde eine Menge Essen gebracht. Diesen Job übernahmen drei der Security Jungs. Von denen, die das Essen zubereitet haben, weit und breit keine Spur. Noch nicht mal Geräusche aus der Küche oder so. Der Gouverneur schien seine Mädels voll unter Kontrolle zu haben. Im Laufe des Abends lud er mich und meine Begleiter dann ein, bei ihm zu übernachten. Mir persönlich bot er an, in einem seiner Gästeschlafzimmer zu bleiben, für den Fall das ich nicht mit all den anderen Anwesenden im Outdoorbereich nächtigen möchte. Das erleichterte mich einerseits, weil ich bis zu dem Zeitpunkt überhaupt keine Ahnung hatte, wo wir unterkommen sollten – Hotels gibts da nämlich nicht. Andererseits war ich doch etwas – sagen wir mal – verunsichert. Als einziger woanders schlafen und potenziell Gefahr laufen, das ich durch Zufall leicht bekleidet einer seiner Frauen über den Weg laufe, während ich schiffen gehen will. Dann wäre schiffen gehen mein kleinstes Problem. Ich lehnte dankend ab und gesellte mich zum Fußvolk. Als der Hausherr dann verschwunden war, wollte ich die Gelegenheit nun endlich nutzen, mich – wo auch immer – zu erleichtern. Mein Freund sagte mir, dass es jetzt keine gute Idee wäre, ins Haus zu gehen, da wir uns ja quasi schon abgemeldet haben. Wir könnten aber noch ne Runde laufen und die Gegend checken. Bestens, so machen wir das! Ist mir eh viel lieber. Die ganze Situation wurde allerdings noch viel peinlicher, als ich es mir hätte vorstellen können. Anstatt zu zweit ne Runde um den Block zu laufen, war plötzlich Aufbruchstimmung. Hä? Was ist jetzt los? Ihr wisst schon, das ich nur kurz schiffen will? Egal. Da alle angewiesen wurden für meine Sicherheit zu sorgen, wurde sich kurzerhand wieder bewaffnet und so gings dann wieder raus auf den kleinen Weg neben dem Fluß. Mit 10 Mann im Schlepptau, die tatsächlich auch die Gegend sicherten, während ich mich am Flußufer endlich erleichtern konnte, schlenderten wir noch ein wenig. Plötzlich hatte einer die Idee, schwimmen zu gehen. Es war kurz vor Mitternacht, stockdunkel und noch immer sehr warm. Wie kleine Kinder im Freibad tummelten sich fast alle im nächtlichen Pech River. Mein Fahrer und ich beobachteten das wilde Treiben vom Ufer mit Hilfe unserer Handybeleuchtung. Gerade in solchen Situationen, in denen sich ein Talib nicht von einem normalen 20-jährigen, z.B. aus Deutschland unterscheidet, weil er einfach Spaß hat und viel lacht während er da im Wasser ist, wird man sehr nachdenklich. Anschließend gingen wir wieder zurück zu unseren Schlafplätzen und verbrachten die Nacht unter freiem Himmel.

 

Am Morgen starteten wir, wie abgesprochen mit zwei Jeeps tief in die Berge Richtung Korengal Outpost. Nach meiner Recherche im Vorfeld war ich fast sicher, dass dieser Ort nicht mit einem Fahrzeug erreicht werden kann. Innerlich hatte ich mich schon auf einen Eselsritt eingestellt, aber das blieb dem Tier glücklicherweise erspart. Dennoch ist die Fahrt ein sehr gefährliches Unterfangen. Einmal nicht aufgepasst, stürzt man hunderte Meter in eine tiefe Felsschlucht. Nach etwa 2 Stunden erreichten wir ein kleines Dorf, welches nur einen halben Kilometer Luftlinie vom Outpost entfernt liegt. Ein großer Teil des Dorfes besteht aus Gräbern von gefallenen Mujahideen. Dabei handelt es sich nicht um Gräber, wie man sie vielleicht kennt. Diese hier bestehen aus senkrecht in die Erde gesetzten hohen, zwischen 30 und 70 cm breiten Steinfragmenten. Völlig anonym, kein Name, kein Geburts- oder Sterbedatum. Ich fragte, warum das hier so gehandhabt wird. Da hieß es, die Angehörigen wissen genau welcher Stein zu wem gehört.

 

Der Besuch des Korengal Outpost selbst war, ehrlich gesagt, wenig spektakulär. Klar, als erster Ausländer einen solch geschichtsträchtigen Ort besuchen zu dürfen, ist schon eine große Ehre. Vielleicht hatte ich auch zu hohe Erwartungen…Überbleibsel aus vergangenen Tagen, Dinge die an Kampfhandlungen erinnern, einfach Sachen, die man hofft zu entdecken, wenn man als Erster irgendwohin kommt…, aber: Flöte piepen! Noch nicht mal leere Patronenhülsen liegen dort noch rum. Als wäre nie gekämpft worden. Die Erklärung, warum das so ist, ist allerdings leicht zu verstehen. Kurz nach dem die Amerikaner diesen Outpost verlassen haben, gab es dort jede Menge an Munitionsresten oder ähnlichem. In einer solch armen Gegend bleibt dieses wertvolle Material jedoch nicht einfach liegen. Kinder aus umliegenden Dörfern haben das ganze Areal gründlich abgesucht und alles eingesammelt, was sie finden konnten. Das „Altmetall“ wurde dann in der nächstgelegenen Stadt zu Geld gemacht. Was es zu sehen gibt, sind ein paar wenige, meist fast bis auf die Grundmauern, zerstörte kleine Gebäude und zwei unscheinbare Gräber, in denen die Überreste von zwei gefallenen amerikanischen Soldaten liegen. So wurde es mir zumindest erzählt, als ich fragte wer denn da unter der Erde liegt. Warum die nicht nach Hause geholt wurden weiß ich nicht. Dennoch war es sehr beeindruckend, diese ganze Gegend mal erkunden zu dürfen und Geschichten dazu aus erster Hand zu hören.

 

Auch in dem nahegelegenen kleinen Dorf kamen wir um eine Einladung des Dorfältesten nicht herum. Stolz wurden Geschichten aus früheren Tagen erzählt. Man zeigte mir wo in den Bergen man sich versteckt hat, um den „Invasoren“ möglichst gut Widerstand leisten zu können. Eine Geschichte, auf die sie besonders stolz sind, ist die von der Sprengung eines amerikanischen Helikopters, während dieser zur Landung am Outpost ansetzte. In einer Nacht und Nebel-Aktion kamen ein paar Kämpfer über einen Schleichweg zum Landeplatz. Dort positionierten sie Minen, ohne von den Amerikanern bemerkt zu werden. Als dann am nächsten Tag der Helikopter zur Landung ansetzte wurde das von den Taliban aus ihren Verstecken heraus natürlich gefilmt. Gleich mehrere der Anwesenden zückten ihre Uralt-Telefone, um mir besagtes Material vorzuführen.

 

All das gabs zwischen Tee und Mittagessen zu bestaunen. Zwischenzeitlich haben wir noch einen kleinen abgelegenen Fluss besucht, in dem wir uns abkühlen konnten. Nach etwa 2 Stunden verabschiedeten wir uns und liefen durch das kleine Dorf, was wirklich beeindruckend war, zurück zu unseren beiden Jeeps. Wir fuhren zurück nach Mano Gai. Dort sollten wir eigentlich nochmal bei unserem Gastgeber, dem Gouverneur, vorstellig werden und ihm erzählen wie es war. Der war allerdings zu busy, was für uns bedeutete: Back to Kabul. Alhamdulillah!

Korengal Valley

Mujahideen Cemetery

Korengal Valley

Elder's Bike

Korengal Outpost

American Soldier Grave

Peiwar Pass / Kharlachi Border

Nachdem ich mir einen „Day Off“ in Kabul gegönnt hatte, hieß es am nächsten Tag: Auf in Richtung Pakistan! Da Torkham jetzt auch offiziell von Ausländern als regulärer Grenzübergang genutzt werden darf, kam diese Option für mich nicht in Frage. Zudem bin ich 2018 ja schon dort nach Pakistan eingereist. Eine neue Herausforderung musste also her. Mal abgesehen von den beiden großen Grenzübergängen Spin Boldak und Torkham, gibt es eine ganze Menge kleinerer Border Crossings zwischen Afghanistan und Pakistan. Bei meiner Recherche bin ich auf den Peiwar Pass gestoßen. Diese Stelle erschien mir bestens geeignet für mein Vorhaben. Zum einen könnte ich auf dem Weg dorthin einen Abstecher nach Mes Aynak machen, zum anderen führt mich mein Weg auf pakistanischer Seite durch die Hochburg der Gun Factories, Dara Adamkhel. Perfekt! Über den am Fuße des legendären Höhlensystems Tora Bora gelegenen Peiwar Pass Grenzübergang, findet man so gut wie gar keine Informationen im Internet. Ich habe mir für speziell diese Region hochauflösende Satellitenaufnahmen besorgt, um rauszufinden ob da überhaupt noch die Möglichkeit besteht rüberzumachen. Es sah zumindest so aus und da dieser Pass Afghanistan mit Parachinar verbindet, was eine wichtige Stadt auf pakistanischer Seite ist, wäre man ja schön blöd, da alles dicht zu machen. Dazu muss man sagen: Selbst wenn der Übergang geschlossen wäre, würde noch immer reger Austausch stattfinden. Das liegt daran, dass insbesondere diese Region als Paradies für Schmuggler gilt. Das gesamte Gebiet um Parachinar herum ist geprägt von Kämpfen zwischen rivalisierenden Stämmen und immer wieder Ziel von Anschlägen, hauptsächlich begangen von den TTP (Tehrik-e Taliban Pakistan). Wohlwissend um die Brisanz, die ein Grenzübertritt dort mit sich bringt, kam ich natürlich nicht umhin, mir vorab dafür eine Genehmigung einzuholen. Zu meinem Erstaunen wurde mir auch die erteilt.
Afghanistan Pakistan Border

Peiwar Pass Border Crossing

Um Probleme auf pakistanischer Seite zu vermeiden, habe ich meinen Kontakt aus 2018 reaktiviert und ihn gebeten, mich auf der anderen Seite abzuholen. Hält man sich ohne NOC (non objective certificate) im ehemaligen Stammesgebiet auf bekommt man Ärger. In den vergangenen Jahren hat die pakistanische Regierung die Regeln für manche Gebiete – hauptsächlich im Norden – etwas gelockert. Das Grenzgebiet zu Afghanistan ist jedoch nach wie vor nicht ohne weiteres besuchbar für Touristen. Eine Ausnahme ist dabei Torkham, da dies der Hauptgrenzübergang ist und man da wohl oder übel durch das Gebiet reisen muss. Ein NOC kann man theoretisch vor Ort übers Ministerium beantragen. Allerdings wird dies in der Regel nur NGOs oder Journalisten gewährt. Selbst für Pakistanis, die keine Pashtunen sind oder sonst irgendwie verwandtschaftliche oder geschäftliche Beziehungen in die Grenzregion haben, ist es nicht ohne weiteres möglich dorthin zu gehen.

 

Das man als Tourist von pakistanischer Seite aus nicht zum Peiwar Pass kommt war also klar – juckt mich auch nicht, da ich von der anderen Seite komme. Was aber geschieht, wenn ich die Grenze überquere? Dann bin ich ja automatisch in dem Gebiet wo ich offiziell nicht sein darf. Zurückschicken können sie mich nicht wegen single entry Visa. Na ja, die werden sich schon um mich kümmern. Soweit zur Theorie. Es kam jedoch ganz anders. 

Bei herrlichem Sonnenschein nahmen wir also die süd-östliche Route über Pol-e-Alam in Richtung Gardez, wo wir bei einem befreundeten Restaurantbesitzer die Nacht verbringen wollten. Wie bereits erwähnt, wollte ich einen kleinen Abstecher nach Mes Aynak machen, einer historischen Ausgrabungsstätte, die nach wie vor noch nicht komplett erschlossen ist. Klingt erstmal nicht sonderlich spektakulär und die Genehmigung dafür schien mir schon sicher. Zum ersten Mal während meiner, mittlerweile fast 3 wöchigen Reise, wurde mir eine Genehmigung nicht erteilt. Da half auch bitten und betteln nicht. Da fragt man sich natürlich: Was ist da los? Offiziell hieß es, es gäbe Bauarbeiten. Hinzu kommt, das die Chinesen in der Nähe eine riesige Kupfermine betreiben. Wie man weiß, lässt sich der Chinese an sich ungern in die Karten schauen und versucht eben so, auch Touristen aus dieser Gegend fern zu halten. Eine weitere Vermutung, die ich habe ist – aber wie gesagt, nur eine Vermutung, Beweise habe ich nicht. Unter der Erde schlummern sicher noch viele unentdeckte Schätze, alte Buddha-Statuen, Überreste aus vergangenen Zeiten eben, die logischerweise noch nicht wissenschaftlich erfasst und registriert sind. Solche Areale sind im wahrsten Sinne des Wortes eine Goldgrube für Schatzjäger. Klar, das ist illegal. Juckt das die Taliban? Eher nicht. Deshalb denke ich, solange da noch Zeug aus der Erde geholt wird, was man illegal zu Geld machen kann, hat man als Außenstehender erstmal keinen Zutritt. Die ausbleibenden Einnahmen durch den Opiumhandel müssen ja irgendwie kompensiert werden. Was bietet sich da besser an, als antiken Kram einer anderen Religion zu verkaufen, den sie eh loswerden wollen?! Na ja, das ist meine Vermutung…zumindest würde ich es so machen, wenn ich an deren Stelle wäre.

 

Wir fuhren also weiter in Richtung Gardez, wo wir am späten Nachmittag ankamen. Die Hauptstadt der Provinz Paktia hat, abgesehen von der großen Festung „Bala Hisar“, keine weiteren erwähnenswerten Sehenswürdigkeiten. Meinen letzten Abend in Afghanistan verbrachten wir so wie die Abende zuvor: mit schwarzem Afghanen und jeder Menge gute Laune.

Kurz nach Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg zum Peiwar Pass. Weder mein Fahrer, noch mein Freund Abdul waren bisher in dieser Gegend unterwegs – es versprach also spannend zu werden. Bis zur Grenze sind es nur ca. 100 km, für die man allerdings 3,5 Stunden braucht. Vorbei an Cannabis Feldern und beeindruckenden Felsformationen bahnten wir uns den Weg zu meiner letzten Station im islamischen Emirat. Keiner der Checkpoints machte Probleme oder wollte uns an der Weiterfahrt hindern, im Gegenteil, alle waren supernett und wünschten uns eine gute Reise. Die letzten ca. 20 km waren wir weit und breit die einzigen, die auf der Straße unterwegs waren. Ich wusste zwar, dass der Grenzübergang nicht hoch frequentiert ist, aber momentan sah es so aus als ob er gar nicht frequentiert ist. Noch nicht mal die üblichen Trucks, die sonst überall in Grenznähe zu sehen sind, kamen einem entgegen. Egal, erstmal bis zum Grenzposten fahren und dann schauen wir mal.

 

Kurz darauf war es endlich soweit und wir fuhren auf die Holzschranke zu, die ich bisher nur aus Satellitenaufnahmen kannte. Hm, hallo?! Keiner da? Nö. Weit und breit keiner zu sehen. Niemand da, der ankommende Fahrzeuge kontrolliert, kein Grenzverkehr, absolut gar nichts. Hatte ein bisschen was von „lost places“. Mein Freund stieg aus und passierte die Schranke, um eventuell jemanden in einem der kleinen Gebäude, die etwas weiter vorne standen, zu finden. Kurze Zeit später kam er zurück mit jemandem, der doch bass erstaunt schien, ob unserer Anwesenheit. Um es kurz zu machen: Die Grenze ist seit etwa 2 Monaten wegen der anhaltenden Gefechte auf pakistanischer Seite geschlossen. Wenn selbst die Taliban sagen, es ist viel zu gefährlich, hier nach Pakistan einzureisen und schon gar nicht als Ausländer, kann man sich die Frage nach einer Ausnahmegenehmigung sparen. Toll, wieso hat uns das niemand an einem der Checkpoints, die wir passiert haben, gesagt? Der „Grenz-Talib“ meinte, wir sollten es etwas weiter im Süden versuchen. Dort gibt es einen weiteren kleinen Grenzübergang, „Kharlachi“. Luftlinie sind das 20 km, mit dem Auto etwa 70. Ein wenig enttäuscht, aber immerhin mit einem Plan B im Gepäck, kehrten wir um und fuhren nach Kharlachi.

 

Es war schon ein ziemlicher „Downer“, dass ich nicht wie geplant über den Peiwar Pass konnte. Aber zumindest habe ich den Grenzübergang besucht und einen großen Unterschied macht es nicht, ob ich jetzt 20 km weiter südlich einreise. Die bergige Region und der damit verbundene Handyempfang machte es schwierig, meinem Kontakt in Pakistan die Situation zu erklären. Der wartete nämlich in Parachinar auf mich, weil sie ihn von dort auch nicht weiter reisen lassen wollten. Die knapp 3 Stunden bis Kharlachi reichten gerade so aus, um einen neuen Pick Up Point zu vereinbaren – direkt am Grenzübergang, cool.

 

Als wir uns der Grenze nährten, wurde ich zunehmend etwas entspannter. Das lag hauptsächlich daran, das hier augenscheinlich deutlich mehr Grenzverkehr stattfand und somit klar war, dass hier nicht geschlossen ist. Ein bisschen lag es aber auch am schwarzen Afghanen.

Kharlachi Border Crossing

patients only

Kharlachi Border Crossing

unofficial border crossing

So richtig nach Grenzübergang sah es hier zwar nicht aus, aber das muss nix heißen. Der schlammige Weg, welcher nach Pakistan führte und die befestigte Straße ersetzte, brachte mich zu einem kleinen 2×2 m Verschlag, um den sich allerlei uniformiertes tummelte. Auch hier war man von meiner Anwesenheit so überrascht, dass die Grenzbeamten gar nicht wussten, was sie zuerst machen sollten. Fragen was ich will? Gepäck durchsuchen? Pass kontrollieren? Oder lieber doch erst ein Selfie? Man entschied sich für Letzteres. Nachdem dann jeder sein Foto hatte, wurde es wieder etwas professioneller und mein Gepäck wurde durchsucht. Ein paar kleine Geldbeträge wechselten den Besitzer, was eigentlich ein gutes Zeichen ist. Das hieß nämlich, dass derjenige, der es annimmt, der ranghöchste vor Ort ist und auch die Entscheidungen trifft. Alle waren supernett und man konnte deutlich spüren, dass meine Anwesenheit das wahrscheinlich interessanteste war, was man dort seit langer Zeit erlebt hat. Als man dann in meinem Rucksack den Koran in Pashto Language fand (hatte ich mir während meines „Day Off“ in Kabul gekauft), kannte die Sympathie fast keine Grenzen mehr. Na ja, mal abgesehen von der, die wenige Meter weiter vorne war.

 

Die Verwirrung war allen ins Gesicht geschrieben. In so einem Fall wird man dann zunächst mal einer kleinen Befragung unterzogen. Wie lange bist du schon in Afghanistan? Magst du die Taliban? Fühlst du dich hier sicher? Wieso möchtest du hier über die Grenze? Wieso fliegst du nicht nach Pakistan, obwohl du es dir ja eigentlich leisten könntest? Wieso versuchst du es nicht in Torkham, dem offiziellen Grenzübergang? Auf solche Fragen ist man entweder gut vorbereitet, wenn man etwas verbergen will, oder man erzählt frei von der Leber weg, wie in meinem Fall. Warum ich mich gegen Torkham entschieden habe, erwähnte ich ja bereits zuvor. Es macht aber auch wenig Sinn diesen Leuten zu erklären, dass je abgelegener ein Grenzübergang ist, desto spannender ist es für mich, dort rüberzumachen.

 

Was mir jedoch in die Karten spielen sollte, wenn es um die Frage des „Warum hier?“ geht, war ein Zwischenfall am Torkham Border Crossing, der sich etwa 1 Woche zuvor ereignet hat. Afghanische Grenzbeamte wollten einen neuen Posten in der neutralen Zone errichten. Das wurde von den Pakistanis beobachtet und laut derer, tun sie das aber nicht etwa auf afghanischem Hoheitsgebiet, sondern buddeln bereits Löcher auf pakistanischer Seite, oder zumindest dort, wo vereinbart wurde, dass nix gebaut werden darf. Ein schwieriges Unterfangen, da die „Durand Line“ (die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan), von vielen Afghanen nicht als solche anerkannt wird, obwohl sie schon weit über 100 Jahre existiert. Ich war persönlich zwar nicht zugegen, aber man kann davon ausgehen, dass da nicht nett drum gebeten wird, das Buddeln doch bitte zu unterlassen. Da kommt auch keiner, der die Situation mal kritisch hinterfragt. „Wir buddeln wo wir wollen!“ „Verpisst euch von unserem Grund und Boden!“ „Das gehört uns!“ „Tut es nicht!“ „Tut es doch!“ „Tut es nicht!“ „Tut es doch!“ „Ach, fickt euch doch, ihr Penner!“ „Was?“ „Nüscht!“ und dann…regelt man das so, wie man das schon immer in der Grenzregion geregelt hat – man schießt aufeinander. Diese Auseinandersetzung führte dazu, dass Pakistan die Grenze dicht gemacht hat. Stau von beiden Seiten. Tausende Menschen gestrandet und selbst nach einer Woche wusste niemand wann die Grenze wieder geöffnet wird. Ein hervorragender Grund für mich, meinen Grenzübertritt in Kharlachi zu rechtfertigen. Blöderweise war die Diplomatie etwas schneller als unser Fahrzeug, d.h. als ich ihn Kharlachi ankam war Torkham schon seit 2 Tagen wieder geöffnet. Egal, die Wege sind lang und wir mussten ja eine Entscheidung treffen. Deshalb bin ich jetzt hier und würde gerne nach Pakistan. Das erschien allen Anwesenden auch schlüssig.

 

Die Zeit verging. Es wurde viel diskutiert und telefoniert. Dann hieß es plötzlich: Auf zum Hauptquartier! Etwa 200 m von dem Verschlag entfernt lag das Headquarter der Grenzbeamten. Dort wurden mein Freund und ich hineingebracht. Hier wimmelte es nur so von Taliban und anderen, mir bisher unbekannten Menschen.

 

Dann war mal wieder „Selfie Time“. Während wir auf eine Entscheidung des Kommandeurs warteten, fragte mich einer von den Talibs, ob ich Volleyball mit ihnen spielen möchte. Ich war mittlerweile ziemlich angefressen, weil sich das alles schon viel zu lange hinzog und es bald dunkel wurde. Meinen Kontakt auf pakistanischer Seite musste ich auch hinhalten und konnte ihm nicht sagen, ob er warten, oder sich vielleicht schon mal lieber eine Unterkunft besorgen soll. Mir war also hauptsächlich nach Grenzübertritt zu Mute, nicht nach Volleyball. Gleichzeitig dachte ich aber: „Volleyball mit den Taliban im Border Guards Headquarter an der Grenze zu Pakistan. Once in a lifetime experience. Also, her mit der Murmel!“

Gespielt wurde ohne Netz, mit 6 Leuten im Kreis angeordnet, also weit von echtem Volleyball entfernt. Aber immerhin – der Talib an sich betätigt sich auch gerne sportlich. Was er übrigens auch sehr gerne mag: Netflix. Woher ich das weiß? Nachdem wir unser kleines Match beendet haben, wurde ich zum Essen ins Hauptgebäude eingeladen. Ein kleiner Raum, ca. 6x3m füllte sich plötzlich mit, gefühlt allen Personen die überhaupt auf dem ganzen Gelände zuvor anwesend waren. Es herrschte also eine muggelige Stimmung. Nachdem wir mit essen fertig waren ging die Fragerei wieder los. Zunächst stellte der Kommandeur seine Fragen, die ich zuvor schon mehrfach beantwortet hatte. Dann durfte jeder der ca. 20 anwesenden Personen mal eine Frage stellen. Alle saßen da, gespannt wie ein Flitzebogen, wenn mir eine Frage gestellt wurde und ich antwortete. Das schien großes Entertainment zu sein. Das waren jedoch fast ausschließlich Fragen aus dem privaten Bereich, z.B. eben auch woher genau ich komme. Als ich dann sagte, Berlin, wurde nahezu einstimmig in der Runde auf den Character „Berlin“ aus der Serie „Haus des Geldes“ verwiesen und die Bewunderung für diverse Netflix-Formate geteilt. Schon eine merkwürdige Situation, wenn man sich vorstellt wie die Taliban Breaking Bad oder Squid Game „binge-watchen“.

 

Irgendwann kam auch wieder die Frage, die mir vorher schon gefühlt 100 Mal gestellt wurde: Warum bist du nicht verheiratet? Speziell in islamisch geprägten Ländern ist man als unverheirateter Mann schnell abgestempelt als jemand, mit dem was nicht stimmt, bzw. jemand der psychische Probleme hat. Noch schlimmer: Man könnte ja mit einem anderen Mann zusammen sein. (Darüber habe ich übrigens während meines Aufenthalts auch diverse Geschichten gehört, die nicht nur die normale Bevölkerung betreffen, sondern vor allem auch ranghohe Taliban. Das führt jetzt zu weit, aber Fakt ist: dort wird sich wie überall auch, der gleichgeschlechtlichen Liebe gewidmet.) Anyway, da mich die Fragerei langsam nervte, versuchte ich meinen Standpunkt etwas überspitzt darzulegen. „Leute, ihr wisst doch wie es läuft. Glaubt ihr ernsthaft, ich könnte hier 3 Wochen durch Afghanistan dengeln, wenn ich verheiratet wäre? Ich weiß, bei euch ist das etwas anders, aber bei uns möchte eine Frau auch mal entertained werden. Was machen wir am Wochenende? Wollen wir mal Essen gehen? Wie wärs mit Kino? Wieso hast du ständig keine Zeit. Ich brauch dies, ich brauch das. (Wie gesagt, etwas überspitzt erklärt. Also no offence liebe Damen.) Ich meine, das stelle ich mir mit nur einer Frau schon schwierig vor, aber ihr…mit zwei, drei…“
Nach meinem kurzen Monolog und entsprechender Übersetzung brach die versammelte Mannschaft in großes Gelächter aus und bestätigte zu meinem Erstaunen meinen Standpunkt. Nächste Frage! Wenn ich keine Beziehung habe, wie befriedige ich denn dann meine natürlichen Gelüste? Aufgepeitscht durch den „Applaus des Publikums“ lief ich zu Höchstform auf und fing an davon zu erzählen, dass es in Deutschland auch unverheiratete Frauen gibt, die ähnlich denken. Ein kurzer Exkurs ins Berliner Nachtleben und was da so geht. Mein Freund schaute mich an und sagte, es wäre keine gute Idee, dass alles exakt so zu übersetzen, weil…na ja…wir hier eben nicht in Berlin sind, sondern im Border Guards Headquarter der Taliban an der Grenze zu Pakistan. Klar, macht Sinn. Bevor ich hier als der Antichrist, bzw. jemand dem gar nix heilig zu sein scheint dastehe, übersetz mal einfach das was du für richtig hältst. Gesagt, getan.

 

Kurz darauf war der Sit-In beendet und wir bekamen Decken und Matratzen, die wir in einem Baucontainer ausbreiteten. Der Kommandeur sagte, wir sollen uns keine Sorgen machen. Nirgends in der Gegend wäre es sicherer als hier und morgen früh fällt die Entscheidung darüber, ob ich nach Pakistan darf oder nicht. Die ganze Situation erschien mir ja schon seit Stunden suspekt, deshalb hakte ich noch einmal nach, wieso ich trotz aller vorhandenen Genehmigungen und gültigem Visa nicht nach Pakistan darf. Seine Antwort – und das ist kein Witz: „Wir haben hier leider keinen Stempel und um ausreisen zu dürfen benötigst du ja einen exit stamp im Pass.“ Ich schaute ihn an und fragte ob das sein Ernst sei. So richtig überzeugt von dieser Ausrede schien selbst er nicht zu sein. „Was ist mit den Leuten, die ich hier gesehen habe? Auch wenn man die an einer Hand abzählen kann, aber die sind ja auch über die Grenze nach Pakistan gegangen. Und was ist mit den ganzen Trucks? Warten die auch bis hier mal jemand einen Stempel besorgt?“ Auch auf diese Frage fiel die Antwort eher ernüchternd aus. „Die Leute, die du gesehen hast, dürfen nach Pakistan, weil sie dort eine medizinische Behandlung bekommen und dürfen dies nur, weil sie vom lokalen Gesundheitsministerium eine Genehmigung dafür haben.“ Diese Antwort war, wie ich später erfahren habe, korrekt. Afghanen, die es sich leisten können, gehen aufgrund der besseren medizinischen Versorgung nach Pakistan. Ich bekam langsam Kopfschmerzen, was allerdings nicht als medizinischer Notfall zählte und mir keine Genehmigung verschaffen würde – Schade.

Kharlachi Border Crossing

just one step to Pakistan

Border Guards Headquarter

discussion

Border Guards Headquarter

main building

Verhaftet...(mal wieder)

Wir schliefen beide schon, als gegen 22:00 Uhr jemand die Tür des Containers öffnete. Alles stockdunkel, nur Taschenlampenlicht von außen. 3 Männer, die ich zuvor noch nicht gesehen hatte. 2 davon vermummt und bewaffnet mit Maschinengewehren. Der andere war scheinbar der, der das Sagen hatte. Geredet wurde allerdings nicht sonderlich viel, mein Freund gab mir nur zu verstehen, dass wir jetzt unsere Sachen nehmen sollten und mit den Leuten in ihr Auto steigen müssen. Für einen kurzen Moment dachte ich; „Cool, armed escort bringt mich nach Grenzschließung nach Pakistan.“ Der Moment in dem ich diesen Gedanken hatte war jedoch so schnell wieder verflogen, wie er gekommen war. Anstatt nach Pakistan gings querfeldein wieder in die Richtung aus der wir ursprünglich gekommen sind, und das mit einem Affenzahn. Ringsherum nur Dunkelheit. Weder andere Autos, noch Menschen zu sehen. Nach etwa 30 min. hielt der Wagen mitten im Nirgendwo an. „Fuck Alter, das wars jetzt.“ Gedanklich schon auf Knien im östlichen Afghanistan mit einer AK-47 im Genick, malte ich mir aus was wohl als nächstes kommt. Alhamdulillah wurde nur kurz was am Fahrzeug gecheckt und es ging weiter. Irgendwann erreichten wir Gardez, die Stadt aus der wir am Vortag aufgebrochen sind. Selbst Gardez war um die Uhrzeit, es war schätzungsweise gegen 1:00 Uhr nachts, menschenleer. An einem Kreisverkehr stoppte der Wagen erneut. Der Typ vom Beifahrersitz stieg aus und öffnete die hintere rechte Tür an der ich saß. Bevor ich richtig realisieren konnte was passiert, bekam ich einen schwarzen Sack über den Kopf gezogen und Handschellen angelegt. Hatte ich bis zu dem Zeitpunkt noch einen Funken Hoffnung, muss ich sagen, dass er spätestens da verflogen war. Sack überm Kopf ist nie gut und war auch neu für mich. In der Regel heißt das, dass man nicht nachvollziehen soll wohin genau man gebracht wird. Klar, man kann sich merken wie oft man wo abbiegt, wie lange man etwa fährt etc. Aber was bringt das, wenn man nicht mal weiß von wo genau man gestartet ist?! Nach ungefähr 10 min. wurden wir wieder langsamer und hielten an. Man hörte Stimmen und es öffnete sich ein großes Tor. Kurz darauf stoppte der Wagen und alle stiegen aus, bis auf mich und meinen Freund. Da wir jetzt kurz ohne unsere Bewacher waren, nutzte er diesen Zeitpunkt, um mich – sagen wir mal – upzudaten. „Mr. Scopes! This is not good.“ Gut, zu der Erkenntnis bin ich kurz nach Sack überm Kopf gekommen, also erzähl mir was neues! „This is Taliban prison.“ Ok, das war doch mal ne Information mit der ich arbeiten konnte. Als Ungläubiger im Taliban Gefängnis zu sein hat sicher keine Vorteile. Die Geschichten, von denen mir mein Freund erzählt hat, die er dort erlebte, schossen mir durch den Kopf. Erstaunlicherweise geriet ich jedoch nicht in Panik – klar, ich war aufgeregt und beunruhigt. Aber: Uns beiden war klar, das wir nichts falsch gemacht haben. Wir hatten alle Genehmigungen, um uns dort aufzuhalten wo wir gewesen sind. Kurz um, ich vertraute auf das hiesige Rechtssystem. Klingt souveräner als ich in dieser Situation tatsächlich war, aber dieser Gedanke schwebte mir immer Kopf – Du hast nichts falsch gemacht. Die Türen wurden von außen geöffnet und jemand nahm mich an den Händen, um mich zu führen. Nach etwa 5 Metern wurde kurz gestoppt, irgendjemand sagte was, danach gings weiter 6 flache Stufen hoch. Ich merkte wie wir ein Gebäude betraten. Kurz geradeaus, dann rechts. Nach etwa 10m hielten wir an und ich musste mich nach links drehen. Obwohl ich nichts sah, spürte ich, dass ich direkt vor einer Wand stand. Mein Herz schlug schneller und ich dachte nur „Bitte steckt mich nicht allein in ein dunkles Loch oder zu irgendwelchen richtigen Kriminellen.“ Dann wurde mir endlich der Sack vom Kopf genommen. Ein leichtes Schielen nach links und rechts bestätigte die Aussage meines Freundes zuvor: Ich stand mitten auf einem Gefängnisgang, links und rechts fette Stahltüren, hinter denen wer weiß was auf mich wartet. Ich wurde zur dritten Tür links geführt. Einer der maskierten Talibs öffnete sie und gab mir zu verstehen, dass ich jetzt da rein soll. Gott, oder in dem Fall, Allah sei Dank: Einzelhaft. Niemand da, der mir hätte gefährlich werden können. In der hinteren linken Ecke lag eine Matratze, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hatte. Grelles Neonlicht rundete das Ambiente ab. Mit einem großen „Kawumm“ wurde die Tür geschlossen und mehrfach verriegelt. Ich setzte mich auf meine Schlafgelegenheit und versuchte nicht so genau hinzuschauen – das Ding war wirklich ein Sammelsurium an Körperflüssigkeiten jeglicher Art. Plötzlich hörte ich, wie jemand die Verriegelung der Tür öffnet und dann kurz einen Blick durch den Sehschlitz wirft. Die Tür ging auf und der Masken-Talib übergab mir ne olle Hundedecke, mit der ich mich schön einmuggeln konnte – Danke, Bro! Ich sollte hier wirklich nochmal betonen, dass ich seit der Zeit unserer nächtlichen Entführung aus dem Border Guards Headquarter und auch während ich dort im Gefängnis saß, immer korrekt behandelt wurde. Man war nett zu mir und hat mich keiner unnötigen Strapazen ausgesetzt. Mir ist bewusst, dass viele Einheimische eben genau das nicht behaupten können, wenn sie eingesperrt werden, deshalb weiß ich es sehr zu schätzen, dass bei mir ein Unterschied gemacht wurde. Ich war wirklich echt müde und trotz der widrigen Umstände schlief ich relativ schnell ein. Da ich weder Uhr, noch Telefon hatte, kann ich nur schätzen…aber die Nacht war nach etwa 2 oder 3 Stunden wieder vorbei. Von der Sonne wachgeküsst, die sich ihren Weg durch eins der schmalen Fenster unter der Decke bahnte, hatte ich zum ersten Mal die Möglichkeit meine Umgebung ein wenig näher zu erkunden. Das hieß in meinem Fall die Kritzeleien an den Wänden zu inspizieren. Mein rudimentäres Pashto reichte nicht aus, um etwas Geschriebenes zu übersetzen. Es gab allerdings auch, echt klischeemäßig, die typischen Striche nebeneinander mit denen die Tage gezählt werden. Das war für mich in dem Moment sowieso viel interessanter als das ich vielleicht ein übersetztes „Fickt euch!“ lesen könnte. Im Prinzip war zwischen 5 und 30 bis 40 Tagen alles dabei. Hm…weder das Kürzeste, geschweige denn das Längste war eine Option, die für mich tragbar gewesen wäre. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, öffnete sich der Sehschlitz an der Tür. Ich schaute nicht hin. Die Tür ging auf und ein Talib brachte mir Brot und Tee an die Matratze – Cool, Frühstück im Bett. Mein „Sahar mo pa khair“ (Guten Morgen), zauberte ihm sogar ein Lächeln ins Gesicht, bevor er wieder verschwand. Ich blieb beim trockenen Brot, weil der Plastikbecher, in dem der Tee serviert wurde aussah, als wäre er die kleine hässliche Schwester der Matratze auf der ich geschlafen habe. Etwa eine Stunde später öffnete sich die Tür erneut und ich wurde nach draußen gebeten. Ab zum Verhör ins Büro des Verantwortlichen. Dort sah ich auch meinen Freund zum ersten Mal seit letzter Nacht wieder. Die Befragung dauerte etwa 30 min. und ich war die meiste Zeit nur Zuhörer. (Gefühlt war das eine recht professionelle Befragung, im Gegensatz zu meinem Verhör in Zentralafrika, wo mir mein ebenfalls inhaftierter Freund die gleichen Fragen die ihm gestellt wurden übersetzte, und meine Antworten zurück übersetzte.) Wie dem auch sei, nachdem wir beide das Verhörprotokoll unterzeichnet haben ging es raus vor das Gefängnis. Dort warteten schon die 3 Typen, die uns in der Nacht zuvor von der Grenze weggeholt haben. Der Stand der Sonne ließ auf ca. 9:00 oder 10:00 Uhr hindeuten. Dann hieß es wieder: Einsteigen! Gleiches Fahrzeug wie letzte Nacht. Auch Handschellen und Sack überm Kopf durften nicht fehlen. Den Sack entfernten sie glücklicherweise nachdem wir ungefähr 10 min. unterwegs waren. Es ging also scheinbar nur darum nicht nachvollziehen zu können, wo genau wir untergebracht waren. Außerdem ist es für die Zivilbevölkerung in einer Stadt wie Gardez, sicher auch verstörend zwei Menschen mit Sack über dem Kopf zur Mittagszeit in einem Auto zu sehen. Wir befanden uns auf dem Rückweg nach Kabul und langsam wurden unsere Bewacher auch etwas „lockerer“. In unserem Fall hieß das: wir bekamen zwei Zigaretten und einen Energy Drink. Die Handschellen blieben aber nach wie vor dran. In Kabul angekommen gings wieder unter den Sack und wir wurden, wie sich später herausstellte, ins Intelligence Headquarter gebracht – die Geheimdienstzentrale der Taliban. Wir wurden bereits erwartet und es erfolgte eine weitere Befragung und Durchsuchung unserer Sachen. Man gab uns allerdings relativ schnell zu verstehen, dass wir uns keine Sorgen machen müssten und spätestens am Abend hier raus sind. Sowas ähnliches habe ich in Zentralafrika fast täglich gehört, am Ende hielten sie mich trotzdem mehr als 3 Wochen fest. Also lieber erstmal die Erwartung nicht zu hoch setzen. Nach etwa 2 Stunden wurden wir dann in ein Safe House gebracht, wo wir warten mussten, bis der Chef der Einrichtung kommt. Er würde dann entscheiden wann und ob wir freikommen. Weitere 2 Stunden vergingen bis er dann schließlich kam. Es wurde eine kleine Sitzung einberufen mit etwa 15 Taliban, die alle auf dem Boden in einem langen Raum saßen. Mein Freund und ich wurden hereingeführt und wechselten ein paar Worte mit ihm. Ich erklärte erneut wieso ich mir diesen Grenzübergang ausgesucht habe und all die Dinge, die vorher schon mehrfach abgefragt wurden. Kurz darauf sagte er, dass wir jetzt gehen könnten und er sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigt. Einen Tag später bin ich dann per Flug nach Islamabad, weil mir Torkham dann doch zu langweilig gewesen wäre und ich außerdem nur noch einen Tag hatte bis mein Heimflug ging. Auch wenn die letzten beiden Tage wirklich spannend und nervenaufreibend waren, hätte ich es doch lieber gehabt, problemlos über die Grenze gehen zu dürfen. Wer weiß, vielleicht beim nächsten Mal.

Fazit

Egal was man heutzutage über Afghanistan sagt, irgendeiner kommt dann immer mit „Ja, aber…“ In den meisten Fällen sind das sogar Menschen, die noch nicht mal selbst dort waren. Verletzung der Menschenrechte, Unterdrückung von Frauen, Repressalien gegenüber anderen Ethnien…klar, wissen die Taliban selbst, dass das von außen kritisiert wird. They don’t care.

 

Reist man heute durch das Land, wird man von diesen Dingen auch hin und wieder mal etwas mitbekommen. Es ist allerdings nicht so, dass man die ganze Zeit sieht wie Unrecht geschieht, und man denkt: „Oh jeh, was ist denn hier los?“ Die neuen Machthaber sind clever genug, solche Dinge möglichst geheim zu halten. Und was sie schon gar nicht wollen ist, dass jemand der als Tourist kommt, solche Dinge sieht und dann davon erzählt. Aus diesem Grund ist das islamische Emirat gerade ein ziemliches Bürokratiemonster. Man benötigt für alles eine Genehmigung. Man kann nichts unbeobachtet tun. Ein wenig wie Nordkorea, aber deutlich flexibler, was persönliche Wünsche angeht.

 

Im Vergleich zu 2018 ist es wirklich ein Unterschied wie Tag und Nacht, wenn es darum geht, wohin darf man und wohin nicht. Klar, hier und da hat der Talib auch noch seine eigenen Igel zu bürsten. Da hat man sich dann gefälligst fern zu halten. In der Regel sind das aber Orte, die insbesondere für Touristen nicht weiter von Belangen sind, oder es nicht sein sollten.

 

Meine Erfahrung hat mich gelehrt, je besser die Kontakte, die man pflegt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Dinge genehmigt zu bekommen. Das ist natürlich überall auf der Welt so. Aber im heutigen Afghanistan ist die Qualität der Kontakte, oder anders gesagt, der Rang, bzw. die Position die der entsprechende Kontakt inne hält, ganz entscheidend. Das ganze System ist streng hierarchisch aufgebaut.

 

War es 2018 noch so, dass ich für 200$ und ein altes iPhone, den damals verbotenen Grenzübergang Torkham passieren durfte, ist heute jede Art der Bestechung im Emirat „haram“. Zumindest braucht man es nicht bei Leuten versuchen, die weit unten in der Nahrungskette stehen. Die würden zwar gerne, haben aber teils moralische Bedenken und andererseits viel zu viel Angst davor, einer ihrer Vorgesetzten könnte Wind davon bekommen.

 

Möchte man tatsächlich nur die Touristen-Hotspots besuchen, also Bamyan, Band-e-Amir, Mazar-e-Sharif, Kabul, Herat etc. braucht man sich wirklich keine Gedanken zu machen. So sicher wie jetzt, war es die letzten 20 Jahre nicht.

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