Legale Tour nach Tschernobyl
Ein offizieller Trip in die Exclusion Zone.
2015
March
Legal in die Exclusion Zone
Nichts ist leichter als nach Tschernobyl zu reisen. Ob auf eigene Faust, mit dem Auto, oder mit einem der unzähligen Touroperator, die mittlerweile alle dieses Ziel in ihrem Angebot haben. Für alle UrbEx Fans ein absolutes Muss! Mehr “Lost Places” mit zugehöriger Geschichte gibt es fast nicht.
Will man auf eigene Faust in die Sperrzone reisen, benötigt man eine offizielle Genehmigung. Hat man kein gültiges Dokument an den jeweiligen Checkpoints vorzuweisen, endet der Trip genau da. Die Erlaubnis muss mind. 10 Tage vor der eigentlichen Reise beantragt werden. Es empfiehlt sich also den Besuch über einen der Touroperator organisieren zu lassen.
Es gibt aber auch die Möglichkeit, mit dem Zug von Slavutych nach Semikhody (Das ist die Station direkt vor dem Reaktor) zu fahren. Normalerweise ist dies der Zug, den die Menschen nehmen, welche am Reaktor arbeiten. Der Zug durchquert zwar weißrussisches Gebiet, da man aber keinen Halt einlegt, wird kein Visum für Weißrussland benötigt. Allerdings muss man auch erstmal nach Slavutych kommen. Eine Zugverbindung von Kiev gibt es zwar, aber nur einmal pro Tag. Die Fahrt dauert ca 4:30h. Man kann auch nach Chernihiv fahren und von dort aus nach Slavutych. Klingt kompliziert – ist es in meinen Augen auch. Diese Art des Reisens würde ich eher jemandem empfehlen, der entweder Unterstützung eines Einheimischen hat oder nicht zum ersten Mal dort ist.
Wem ein offizieller Besuch der Sperrzone nicht abenteuerlich genug ist, hat die Möglichkeit, mit einem sogenannten “Stalker” illegal in die Zone zu gelangen – natürlich auf eigene Gefahr und der Option, mal eine ukrainische Polizeistation von innen kennenzulernen. Dennoch erscheint – mir persönlich – diese Option momentan als etwas, das man mal im Auge behalten sollte – insbesondere dann, wenn man die Tour “ganz speziell” gestalten will.
Die Planung
Die Idee nach Tschernobyl zu reisen hatte ich schon lange. Allerdings kam immer wieder was dazwischen. Anfang März 2015 hab ich mich dann entschieden Nägel mit Köpfen zu machen.
Obwohl die Zahl der Touroperator, die Tschernobyl im Programm haben 2015 noch relativ gering war – im Vergleich zu heute, habe ich sofort eine lokal ansässige Agentur gefunden, die mir gut geeignet schien.
Nach ein paar mails hin und her war die Tour gebucht. Netterweise hat die Agentur sogar die Flugbuchung für mich übernommen, was zusätzlich eine große Preisersparnis bedeutet hat, da die Buchung über Ukrainian International stattfand und hier andere Preise aufgerufen werden, sobald man im Ursprungsland direkt bucht. 2 Wochen später bin ich direkt von meinem Büro zum Flughafen gefahren und nach 2 Stunden war ich in Kiev.
Vor Ort
Nachdem ich gegen 21:00 Uhr Ortszeit am Borispol Airport gelandet bin, wurde ich von einem Fahrer abgeholt, der mich direkt zum Maidan gefahren hat. Dort war mein Hotel. Die Fahrt vom Airport in die Stadt dauert ca. 40 min und ist wahnsinnig langweilig.
Das Hotel an sich erfüllt seinen Zweck, d.h. alles ist sehr spartanisch eingerichtet. Das ganze Interieur erinnert doch sehr an DDR Zeiten, was für mich aber kein Problem war – im Gegenteil. Irgendwie hatte das was von einer kleinen Zeitreise. Dieses Gefühl verstärkte sich am kommenden Morgen, als ich zum Frühstück ging. Sowohl Geschirr, als auch Besteck, Kaffeekannen und Sonstiges sind eindeutig aus alten Ostbeständen zusammengetragen. Ein wenig hatte ich das Gefühl im Ferienlager oder einer Jugendherberge im Jahr 1985 zu sein.
Zwei Kaffee und ein Brötchen später war ich auf dem Weg nach unten, um zum geplanten Treffpunkt für die Tour zu gehen. Idealerweise war dieser direkt vor dem Hotel.
Ich war natürlich der letzte, der zur Gruppe dazugestoßen ist. Andere Teilnehmer standen schon an der Tür zum Bus, um einen möglichst guten Platz zu ergattern. Es waren mehr, als ich dachte…ca. 30 Leute. “Na toll” dachte ich, nachdem ich sogar drei besoffene Engländer unter den Leuten gesehen habe. Dann auch noch als letzter in den Bus…die Vorzeichen standen nicht gut. Allerdings hat der Touroperator die Kostenabrechnung im Bus direkt hinter dem Fahrersitz gemacht. Da ich der letzte in der Reihe war und ihm noch 20,- EUR Trinkgeld zugesteckt habe, konnte ich dann diesen Platz einnehmen und hatte – abgesehen vom Fahrer selbst – den geilsten Platz.
Von mir aus kann’s losgehen, dachte ich. Der Busfahrer – ein ukrainischer Stiernacken wie er im Buche steht – startete auch relativ zügig die Maschine und wir fuhren durch Kiev Richtung Norden. Kiev an sich hat viel Schönes, soweit ich das vom Businneren beurteilen konnte. Gleiches kann man vom ukrainischen Hinterland, durch das wir dann fuhren, nicht unbedingt behaupten.
Die zweistündige Fahrt Richtung Weißrussland besticht hauptsächlich durch……..Nichts…absolut gar nichts.
Aus diesem Grund haben sich die Veranstalter der Tour gedacht, Filmmaterial über Tschernobyl auf den vier alten 4:3 Screens im Bus zu zeigen ist eine gute Idee, um von der ganzen Ödnis und langweiligen Gegend außerhalb des Busses abzulenken. Prinzipiell eine gute Idee, die natürlich nur Sinn macht, wenn man davon ausgeht, dass niemand vorab Recherche betrieben hat und nicht so wie ich wirklich absolut alles über Tschernobyl gesehen und gelesen hat, in Vorbereitung auf die Tour.
Scheinbar war ich wirklich der Einzige, der all das was die kommenden zwei Stunden über die Bildschirme in die Großhirnrinde der Teilnehmer gepumpt wurde, gesehen hat – es herrschte erstaunliche Ruhe während der Fahrt.
Ich vertrieb mir die Zeit damit, die hiesige Flora und Fauna aus dem Busfenster zu betrachten. Flora beschrenkt sich auf Wiese und Bäume. Fauna beschrenkt sich auf zwei Straßenköter, die ich in einem Nest nördlich von Kiev gesehen habe. Ich habe tatsächlich mehr Fauna in der Exclusion Zone erlebt, als auf dem kompletten Weg dorthin – wilde Pferde direkt an der Hauptstraße in Chernobyl, Wildschweine im Stadtzentrum, Füchse überall.
Nach zweistündiger Fahrt passierten wir den ersten Checkpoint “Dytiatky”, welcher die 30km Zone markiert. Die Stadt Tschernobyl selbst liegt ca. 15km nach dem ersten Checkpoint. Erstaunlicherweise leben hier noch heute tatsächlich Menschen. Größtenteils Arbeiter, die am Kernkraftwerk tätig sind und sich eine tägliche Hin- und Rückreise zu ihren Heimatstädten nicht leisten können. Dennoch wirkt die Stadt selbst wie eine Geisterstadt – schwer zu beschreiben, aber wer mal an einem verregnetem Sonntag durch z.B. Eisenhüttenstadt gefahren ist, weiß wie sich das anfühlt.
Danach gings weiter durchs Sperrgebiet Richtung 10km Zone, welche vom Checkpoint “Leliv” gesichert wird. Auf halber Strecke gab es einen kleinen Abstecher in westliche Richtung zum “Russian Woodpecker”, besser bekannt als DUGA 3. Ein russisches Frühwarnsystem, welches bis Ende 1989 in Betrieb war. Eine riesige Radaranlage, die in den ukrainischen Wäldern steht, wie eine Mauer.
Der Name “Woodpecker” rührt daher, dass die Kurzwellengeräusche der Anlage ein Klopfen verursachten, das an einen Specht erinnert. Eine technische Meisterleistung, wenn man bedenkt, dass diese Anlage per Handzeichnungen auf dem Papier entstanden ist. Absolut sehenswert und faszinierend.
Wenige Kilometer danach kam das erste richtige Highlight, wenn man so will. Der verlassene Kindergarten von Kopachi. Hier haben die Menschen, die in Tschernobyl lebten und im Kraftwerk arbeiteten, ihre Kinder hingebracht – sehr praktisch, weil es auf dem Weg liegt. In dieser Zone leben auch die sogenannten Re-Settlers, meist ältere Menschen, die entgegen aller Warnhinweise zurückgekehrt sind und dort ein sehr einsames Leben führen.
Weiter gings Richtung ChNPP und als wir die nächste Straßenkurve passiert haben, erschien am Horizont der typisch rot-weiße Schornstein vom Reaktor. Das ganze hatte schon was Gespenstisches. Aber zumindest wusste jetzt selbst der letzte besoffene Engländer im Bus, das es nicht mehr weit ist.
Was vielleicht nicht jedem bewusst ist: der ganze Komplex ist ein riesen Areal mit mehreren Reaktoren, Kühltürmen, Stromwandlungsanlagen und und und. Wirklich sehr beeindruckend, wenn man bedenkt, dass noch bis ins Jahr 2000 zumindest einer der Reaktoren noch in Betrieb war.
Zu dem Zeitpunkt als ich das Kernkraftwerk besucht habe, war das neue Safe Confinement noch in Bau und der alte Reaktorblock Nr. 4 war noch zu sehen. Die Schutzhülle war im Prinzip noch so wie sie damals behelfsmäßig zusammengeschustert wurde. Selbst von 100m Entfernung auf dem Vorplatz konnte man sehen, dass die ganze Konstruktion nicht mehr lange halten wird und es höchste Zeit wurde für einen besseren Schutz. Der neue Sarkophag wurde Ende 2016 über den Reaktorblock geschoben und soll die kommenden 100 Jahre halten. Währenddessen soll darunter alles abgetragen und weiter dekontaminiert werden. Ich persönlich halte das alles für höchst fragwürdig.
Bevor es dann weiter nach Pripyat – die angrenzende “Geisterstadt” – ging, gab’s Mittagessen in der Chernobyl-Kantine, wo auch die Arbeiter essen gehen. Auch hier fühlte ich mich mehrere Jahrzente in der Zeit zurück versetzt. Sowohl die Köchinnnen, als auch das Essen waren original 80er Jahre-Style. Ich habe mich extra beeilt mit dem Essen, weil ich schnell raus wollte, um eine zu rauchen. Offiziell darf man an der freien Luft weder essen, noch trinken in der Exclusion Zone und schon gar nicht rauchen, wegen der radioaktiven Partikel in der Luft.
Ich will nicht sagen, dass das nicht Sinn macht – zumindest aus versicherungstechnischen Gründen für den Veranstalter, aber wer sich freiwillig für ein paar Stunden in die Zone begiebt, den wird eine Zigarette an der freien Luft nicht umbringen. Außerdem habe ich kurz vorher gesehen, wie sich unser Fahrer heimlich versteckt hat, um eine zu rauchen. Ich bin also direkt raus zu seinem Versteck und hab ihn gefragt wie das mit rauchen sei. Mit meinen rudimentären Russischkenntnissen und einer Zigarette in der Hand, konnte ich ihm mein Anliegen schildern. Ab diesem Zeitpunkt teilten wir uns das Versteck, wo wir heimlich rauchten.
Zwei Zigarettenlängen später und nachdem nun auch der letzte Teilnehmer den ukrainischen Gourmet-Tempel verlassen hat, gings weiter Richtung Pripyat durch den Red Forest – ein kleines Waldstück, welches nach dem Störfall am stärksten kontaminiert wurde, aufgrund des unmittelbaren Fallouts. Noch heute ist das Gebiet deutlich mehr belastet als die restliche Gegend.Pripyat, die Vorzeigestadt in der damals knapp 50.000 Menschen lebten bevor sie evakuiert wurde, ist nur 2km vom Reaktor entfernt.
Nachdem wir einen kleinen Checkpoint direkt am Eingang zur Stadt passiert haben, war es schließlich soweit und wir fuhren durch die Geisterstadt. Entlang der Leninstraße bahnten wir uns den Weg ins Stadtzentrum. An der Ecke Kurchatova Straße parkten wir und stiegen aus, um die Gegend zu erkunden. Direkt vor uns lag das Herz der Stadt mit dem Kulturpalast “Energetik” und dem Hotel “Polissya”.
Um mal einen Eindruck zu bekommen, wie es damals aussah und zu der Zeit als ich Pripyat besuchte, habe ich hier mal einen kleinen Slider eingefügt, der das Hotel vorher/nachher zeigt.


Ich mag diese vorher/nachher Fotos wirklich gerne und ich ärgere mich ein wenig, das ich nicht mehr davon gemacht habe. Ich muss aber sagen, dass wenn man sich erstmal in Pripyat aufhält, man gar nicht weiß wo man zuerst hinsehen oder hingehen soll – man ist völlig überfordert. Jedes Gebäude, jeder Platz erscheint einem “even more lost than the other one”. Hat man sich dann mal mit viel Mühe für ein besonderes Motiv positioniert, das man ablichten will, läuft einem plötzlich ein verliebtes Pärchen Arm in Arm mit Mundschutz und weißem Overall aus der Gruppe durchs Bild und macht schnell ein paar Fotos mit ihrem iPhone, bevor sie dann schnell wieder in den Bus wollen, um nicht noch mehr Strahlung abzukriegen. Klar, safety first – da hab ich absolut nix gegen einzuwend