Tschernobyl auf eigene Faust

Stalker in the exclusion zone

4 Tage und Nächte illegal im Sperrgebiet von Tschernobyl.

2019

May

Rating
90
Fotografie
95
Entdeckergeist
85
Gesundheitsgefahr
100
Schwierigkeit
Location

Mal wieder nach Tschernobyl

Mehr als 4 Jahre ist es her, dass ich die Gegend um den Reaktor zum ersten Mal besucht habe. Damals noch auf legalem Weg, mit einen ukrainischen Touroperator. Für einen ersten Eindruck war das wirklich ok und durchaus beeindruckend.

Aber schon damals habe ich bei meiner Recherche Kontakte zu diversen Stalkern geknüpft, die sich illegal in die Zone begeben. Zu diesem Zeitpunkt erschien mir die Option nicht wirklich ratsam, da ich zunächst mal herausfinden wollte, was geht und was nicht. Im Nachhinein betrachtet war das auch die richtige Wahl, doch dazu später ein wenig mehr.

 

Es wurde also höchste Zeit, die Exclusion Zone mal auf einem anderen Weg zu erkunden. Tschernobyl auf eigene Faust.

 

Mir war bewusst, dass dies ein Trip wird, der mich körperlich stark belasten wird und wenn man sich dazu entscheidet es auf diese Art und Weise durchzuziehen, gibt es kein Zurück.

 

Momentan (Mai 2019) arbeiten insgesamt ca. 1000 Sicherheitskräfte an unterschiedlichen Checkpoints in der Zone verteilt – das alles in 2 Schichten aufgeteilt. Also 500 Leute jeweils 2 Wochen. Diesen gilt es natürlich aus dem Weg zu gehen. Das klingt tatsächlich wie in einem Real Life Computerspiel und das ist es auch. Wird man erwischt bedeutet das zum einen eine Geldstrafe (für Ausländer deutlich höher als für ukrainische Staatsangehörige), zum anderen müssen sämtliche SD Karten von Kameras etc. gelöscht werden und man wird in einen Bus gesteckt, der einen zurück nach Kiev bringt.

Die Planung

Da ich wie bereits erwähnt Kontakte zu diversen Stalkern hatte, war es kein Problem jemanden zu finden, der mich bei meinem Vorhaben unterstützt. Ein paar Nachrichten verschicken…Preis aushandeln…Zeitraum bestimmen…das wars.

 

Es versteht sich von selbst, dass man seine Ausrüstung für einen mehrtägigen Outdoortrip vorab entsprechend anpassen sollte – je nach Jahreszeit. Ich kann empfehlen, eher im Frühjahr zu reisen. Hauptsächlich aus zwei Gründen. Grund 1: Im Sommer gibt es wahnsinnig viele Stechmücken, die einem das Leben zur Hölle machen. (Ende Mai war es schon echt grenzwertig) Grund 2: Im Winter ist es deutlich schwerer durch das unwegsame Gelände zu kommen. Außerdem hinterlässt man Spuren im Schnee, die einen verraten.

 

Und ganz wichtig: so wenig wie möglich einpacken. Die Sperrzone hat einen Radius von ca. 30km. Das bedeutet, man muss auch erstmal mindestens 30km laufen, um zu seinem Ziel zu gelangen. Man will ja auch irgendwie wieder zurückkommen, d.h. man muss sich auf einen Fußmarsch von mindestens 60 bis 70 Kilometern einstellen, inkl. Flußüberquerung, weil die Brücke zu gefährlich ist. Man sollte also auch schwimmen können.

 

Wer einigermaßen fit ist, schafft das. Um ehrlich zu sein: ich persönlich hätte es wohl auf diese Art und Weise nicht geschafft. Hügelige Wiesen, kreuz und quer durch Wälder, Zäune, rennen, klettern, verstecken und und und.

 

Zum Glück hatte mein Kontakt ganz spezielle Beziehungen zum hiesigen Personal. Es gab die Möglichkeit, sich von jemandem der an einem der Checkpoints arbeitet und somit legal in der Zone Auto fahren darf, bis an die Stadtgrenze von Pripyat fahren zu lassen. Diesen Service lassen sich die Leute natürlich entsprechend bezahlen – werden sie beim Transport von illegalen Besuchern erwischt, sind sie ihren Job los. Ich hab keine Sekunde gezögert, nachdem ich hörte, dass diese Option ebenfalls zur Wahl steht.

Vor Ort

Ich traf meinen Kontakt gegen 21:00 Uhr im Podil District. Von da aus fuhren wir ein paar Stationen mit der U-Bahn, um Vorräte einzukaufen. Anschließend trafen wir uns auf dem Parkplatz mit einem Freund, der uns bis zur Grenze der Sperrzone fahren sollte.

 

Gegen 23:00 Uhr starteten wir Richtung Norden und nach anderthalb Stunden erreichten wir Ivankiv – die letzte kleine Enklave vor der Sperrzone. Der offizielle Weg in die Zone führt von da aus weiter Richtung Norden, bis man zum Checkpoint Dytyatky kommt. Wir hingegen fuhren Richtung Nordwesten, um so nah wie möglich an die Zone zu kommen. 30 Minuten später bogen wir in ein Waldstück ab und von da gings querfeldein über unbefestigte Waldwege. Kurz nachdem wir Bychki passiert haben – das letzte Dorf vor der Grenze, erreichten wir unser Ziel: eine kleine Wiese direkt hinter dem Wald. Ab hier trennten sich unsere Wege. Der Fahrer fuhr zurück nach Kiev und wir beide standen bei Mondlicht im Niemandsland. Rucksack auf, Headlamp an – bereit fürs große Abenteuer. Uhrenvergleich: 1:25 Uhr.

 

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch das Gefühl einer Nachtwanderung beim Schulwandertag. Das sollte sich schnell ändern. Nachdem wir ungefähr 100m Richtung Flussufer gelaufen sind, hieß es plötzlich “Lights off and hide!”. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses erschienen plötzlich ebenfalls Lichter. Kein gutes Zeichen. Es gab drei Möglichkeiten. Andere Stalker, Fischer oder Polizei. Alles nicht wirklich gut, deshalb haben wir uns für ca. 1 Stunde im Schilf versteckt und abgewartet. Klar, Polizei wäre absoluter worst case, aber wir beide redeten uns ein, dass es keinen Sinn macht, wenn nachts um halb zwei Polizisten das Ufer bewachen. Also entschieden wir uns, den Fluss zu überqueren.

Mir fällt kein Moment ein, indem ich mich so weit außerhalb meiner Komfortzone befunden habe, wie zu diesem Zeitpunkt. Alles in mir wehrte sich gegen das, was unausweichlich war. Es war kalt, Froschattacken aus dem Schilf und im Hinterkopf immer noch der Gedanke daran, am anderen Ufer gleich in Gewahrsam genommen zu werden. Egal, Klamotten aus und alles in Plastiktüten verschnürt. Aufgrund der anhaltenden Regenfälle in den Tagen vorher, war der Fluß um ein vielfaches angestiegen, so dass ein Durchlaufen nicht möglich war, zumindest nicht für mich mit meinen 1,74m. Mein Begleiter mit knapp 2m Körpergröße war da deutlich im Vorteil. Aus diesem Grund fiel ihm die Aufgabe des Gepäcktransports zu.

 

Geschmeidig wie ein junger Aal glitt ich durchs Schilf in den Uzh River. Trotz kalter Nacht war das Wasser erstaunlich warm. Nach ungefähr 5m stand mir das Wasser buchstäblich bis zum Hals und plötzlich merkte ich die Strömung, die aufgrund der Dunkelheit vorher nicht wirklich Thema war. Es riss mir die Beine weg und ich bekam kurz ein wenig Panik, aber nachdem ich in den Amphibienmodus geschaltet habe und mich nun doch schwimmend fortbewegt habe, ging es relativ schnell und ich habe das andere Ufer erreicht. Glücklicherweise waren weder Polizei, noch andere Stalker oder Fischer am Ufer.

 

Anziehen, aufsatteln, weiter gings.

Mittlerweile war es kurz nach 3:00 Uhr morgens und ein Fußmarsch von knapp 4 km lag noch vor uns, bis wir unser Nachtquartier erreichen sollten. In nächtliche Schatten gehüllt erschienen nach ca. 1,5km erste Gebäude – eine verlassene Cooperative Farm, die wir passierten und schließlich nach etwa 45 min. in einen kleinen Weg einbogen. Kleine Häuser tauchten am Wegesrand auf, während es mittlerweile schon dämmerte. Wir hatten unser erstes Ziel erreicht: “Glinka” – ein kleines verlassenes Dorf.

 

Unser Quartier war eine kleine Bruchbude, die aber verhältnismäßig aufgeräumt war, da mein Guide diesen Platz öfter nutzt, wenn er sich in der Zone aufhält. Das heißt konkret: es gab zwei Matratzen, die seit über 30 Jahren dort vor sich hingammeln. Überdeckt mit zwei kleinen schwarzen Plastikfolien war dies der Schlafplatz für die Nacht, oder besser gesagt für den Morgen.

 

Nach ca. 4 Stunden war Schlafen nicht mehr möglich – es war hell, die Sonne schien, Mäuse rannten kreuz und quer durchs Haus und ich konnte es kaum erwarten, endlich Richtung Pripyat zu starten.

 

Nach einem Triple-Instant-Kaffee aus dem 0,5 Liter Gemeinschaftsbecher und zwei Wurstbrote später waren wir ready to go. Kurz noch mit dem local driver telefoniert, ob alles nach Plan läuft und nach positivem Feedback gings Richtung Treffpunkt.

 

Am Dorfrand war ein kleiner Friedhof. Dort warteten wir, bis wir Autogeräusche wahrnehmen konnten. Dann ging alles ganz schnell. Wir rannten aus unserem Versteck in Richtung Auto und stiegen ein. Ein netter Mann in Tarnkleidung, Mitte 50, begrüßte uns und wir fuhren los.

Stalker's place

Glinka village

Stalker's place

Glinka village outside

Die Fahrt ging quer durchs Sperrgebiet, inkl. dem Red Forest. Verlassene Straßen und keine Menschenseele weit und breit. Natürlich bestand immer die Gefahr, das der Fahrer unterwegs einen Kollegen trifft oder ähnliches und somit quasi gezwungen ist anzuhalten,